Achtsamkeit und Führung

Achtsamkeit oder Mindfulness sind beliebte Begriffe geworden, Führung oder Leadership schon lange. Führungskräfte sind in unserer modernen Welt besonders gefordert, höre ich oft. Probleme mit der Führung sind eine Hauptursache für Unmut in Unternehmen. Da liegt es auf der Hand, strukturiert anzuschauen, was die beiden Themen Achtsamkeit und Führung miteinander zu tun haben und wie Achtsamkeitsthemen bei der Herausforderung Führung helfen.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit auf individueller Ebene ist ein trainierbarer Geisteszustand. Am knackigsten beschreibt ihn für mich Jon Kabat-Zinn als „moment to moment non judgemental awareness to inner and outer phenomena“. Oder auf Deutsch und etwas ausführlicher: Auf den gegenwärtigen Augenblick gerichtete Aufmerksamkeit, die es erlaubt, innere und äußere Erfahrungen im gegenwärtigen Moment vorurteilsfrei zu registrieren und zuzulassen. Man kann dabei vier Objekte unterscheiden, auf die sich diese Aufmerksamkeit richtet: Körper, Gedanken, Gefühle und Sinneswahrnehmungen.

Für Achtsamkeit auf kollektiver und organisationaler Ebene kenne ich je nach Quelle unterschiedliche Beschreibungen: von der Fähigkeit, kleine Abweichungen vom Erwarteten zu registrieren bis hin zu einer ethischen Gesamtausrichtung einer Organisation. Für mich lässt sie sich analog der Definition oben beschreiben als Fähigkeit einer Organisation das, was im Innen und in der Kopplung zu den Umwelten beobachtbar ist, vorurteilsfrei zu registrieren und in die Kommunikation zu bringen. Dabei hilft die individuelle Achtsamkeit der Mitglieder einer Organisation enorm.

Welche Wirkung hat Achtsamkeit auf Führung?

Sich selbst wahr zu nehmen ist die Grundlage dafür, andere zu verstehen und auf sie führend einzuwirken. Achtsamkeitsübungen sind ein sehr praktisches Instrumentarium zur Selbsterkenntnis.  Sie unterstützen auch die Fähigkeit von Menschen in Führungsrollen, mit VUCA-Umfeldern umzugehen. Insbesondere ein gelassenerer Umgang mit Ungewissheit und Paradoxien sowie eine Reduktion negativen Stressempfindens möchte ich hier nennen.

Auf organisationaler Ebene erhöhen Achtsamkeitspraktiken die Wahrscheinlichkeit intelligenter Kommunikationsmuster. Die größten Killer davon sind meiner Erfahrung nach Bewertungen und Recht-haben-wollen, was beides wesentlich gedämpft wird. In achtsam kommunizierenden Gruppen beobachte ich häufiger Dialogsituationen, in denen aktiv zugehört wird, offen auch Schwieriges geteilt wird und Einfach-mal-stehen-lassen eine Option ist. Daraus können sich unerwartet neue Lösungsoptionen kristallisieren – eine ganz eigene Art von Klarheit entsteht.

Wie lernt und übt man Achtsamkeit?

Auf individueller Ebene unterscheide ich zwei Formen – einerseits das reine Beobachten von Körper, Gedanken, Gefühlen und Sinneswahrnehmungen, andererseits geführte Meditationsübungen, die helfen, bestimmte Geisteszustände einzuladen, wie zum Beispiel Mitgefühl. Ein hilfreicher Anker für unsere Konzentration und um präsent zu sein ist dabei immer unser Atem.

Auf organisationaler Ebene lässt sich Achtsamkeit fördern, indem sie durch entsprechende Voraussetzungen und Interventionen unterstützt wird, wie Reflexionsprozesse, Dialogformate, erwartetes Verhalten von Führungskräften, oder Achtsamkeitsprogramme. Das Angebot entsprechender Trainings oder eine förderlichen Infrastruktur begünstigen wiederum die individuelle Achtsamkeitspraxis der Mitglieder der Organisation.

Um konkret zu werden folgen ein paar ganz praktische Achtsamkeitsübungen für Führungskräfte, die ich immer wieder als sehr hilfreich erlebe:

  • Atmen-Lächeln-Innehalten: Hier lenke ich meine Aufmerksamkeit kurz auf meinen Atem, lächle entspannt und tue nichts weiter. Einfach, kompakt und wirksam.
  • Achtsames Kommunizieren: Beim Sprechen und Zuhören übe ich eine zugewandte, nicht-wertende, registrierende Haltung. Mit einem Teil meiner Aufmerksamkeit bleibe ich bei meinem Atem.
  • Einladen von Mitgefühl: Vor einer schwierige Situation stelle ich mir die betreffende Person oder Gruppe vor und sage mir innerlich: „May you be happy, may you be well.“

Diese Übungen lassen sich sowohl in Gruppen, als auch individuell praktizieren. Sie sind einfach und gleichzeitig erstaunlich wirksam. Viele solcher Anregungen findet man im Internet, zum Beispiel auf der Homepage des Netzwerks Achtsame Wirtschaft (www.achtsame-wirtschaft.de).

Mein Fazit

Die Verbindungen zwischen Führung und Achtsamkeit erlebe ich als vielfältig und stark. Als frisch gebackener Manager stand ich ziemlich ratlos vor dem Thema Führung. Ein paar der oben geteilten Einsichten hätten mir sicher dabei geholfen, Leid zu vermeiden. Doch wie fängt man an? Als ersten Schritt rate ich zu einer praktischen Einführung für sich oder seine Organisation. Das kann man wie einen Pilot sehen, in dem man sieht, ob es passt. Die Teilnahme daran beruht am besten auf Freiwilligkeit.

Zwei Zutaten halte ich für das Thema Achtsamkeit und Führung für die wichtigsten. Erstens, fang immer bei Dir selber an, bevor Du andere damit beglücken willst. Zweitens, bring Geduld mit – vor allem mit Dir selber. Manche sagen, der Weg zu einer achtsameren Wirtschaft ist ein Jahrhundertprojekt. Das klingt doch spannend.

Die Hauptquelle der Achtsamkeitspraktiken liegt im Buddhismus. Ein Blick in diese Richtung ist wertvoll und macht klar: Achtsames Führen im ursprünglichen, buddhistischen Sinne hat auch eine ethische Dimension. Man führt zu einem Ziel. Die Qualität des Ziels und welcher Wertekanon dahinter steht bekommt eine hohe Bedeutung.

 

Quellen und weiterführende Literatur:
  • C. Grubendorfer: Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur
  • J. Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation
  • M. Plischke/ K. Romhardt: Die achtsame Organisation – Mythos oder Realität? In H. Roehl/ H. Asselmeyer: Organisationen klug gestalten
  • K. Romhardt, Achtsame Führung; in: M. Patak/R. Simsa (Hrsg.): Kunststück Führung
  • F. Simon: Gemeinsam sind wir blöd!?
  • C.-M. Tan: Search Inside Yourself
  • E. Weick/ K. M. Sutcliffe: Das unerwartet Managen
  • Webseite des NAW Netzwerk Achtsame Wirtschaft e.V. mit vielen praktischen Tipps: achtsame-wirtschaft.de