Bauch über Kopf? – Die Überschätzung unserer Ratio als Entscheidungsinstrument

„Ihr Verstand rät Ihnen das, was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl?“ Wie oft haben wir es im Beruf, im Privaten oder gar in der Beratung mit dieser Dualität der beiden körpereigenen Entscheidungsinstrumente – Verstand und Gefühle – zu tun? Ohne uns bewusst darüber zu sein, wie wichtig die Berücksichtigung beider ist. Denn wir wissen unter anderem aus den neurowissenschaftlichen Studien von Gerhard Roth, dass unsere Ratio (vorderer Stirnlappen /präfrontaler Cortex) nur einen verhältnismäßig geringen Teil unserer Informationsverarbeitung ausmacht. Der übermäßige Anteil macht die Verarbeitung im Stammhirn (Intuition/Reflexe) sowie im limbischen System (Emotionen/Affekte) aus, wenn wir Informationen auswerten.

Dabei ist der Entscheidungsprozess keine Ostereiersuche, wie Maja Storch es formuliert. Wir finden nicht plötzlich das schönste größte Ei und wissen damit, dass ist die einzig richtige Entscheidung. Vielmehr ist die Erkenntnis ernüchternd, dass es gar nicht die einzig richtige Entscheidung gibt. Wir können die Zukunft nicht sicher vorhersagen. Alles andere ist unsere Kontrollillusion – eine wirksame Beruhigungspille. Das Gefühl „Ich kann das jetzt nicht entscheiden, ist also einfach ehrlich. Denn wir können zu keinem Zeitpunkt eine für die Zukunft richtige Entscheidung fällen. Darum geht es nicht.

Es geht darum, nicht zu bereuen. Es geht darum, beide Systeme das rationale Bewusste und gefühlsgetriebene Unbewusste in das Entscheidung treffen einzubeziehen. Wenn wir die Vernunft und ihre rationalen Argumente berücksichtigen und gleichzeitig unser emotionales Erfahrungsgedächtnis und dessen Körpersignale einbeziehen, dann werden wir nach neurobiologischen Erkenntnissen zu der bestmöglichen Entscheidung im Hier und Jetzt für die Zukunft kommen. Dabei geht es nicht allein um das volksmundige Bauchgefühl, sondern um das Einbeziehen sämtlicher Körpersignale. Diese können der berühmte „Kloß im Hals“ „das Leichtfüßige“, „die Schwere in der Brust, die Gänsehaut“ und so weiter sein. Es kann sein, dass die getroffene Entscheidung im Nachhinein sich fälschlich erweist, weil die Zukunft anders kommt als wir das dachten. Wir werden die Entscheidung aber weniger bereuen, weil wir zum Entscheidungszeitpunkt, diese mit einem guten Gefühl getroffen haben.

 

Das Einbeziehen dieser beiden Systeme funktioniert dann, wenn wir verstehen, wie diese zusammenspielen. Vereinfacht dargestellt: Die Informationsverarbeitung läuft in zwei Phasen ab. Erst tritt die Information in den präfrontalen Cortex und wird bewusst verarbeitet, um dann „im Gehirn nach hinten zu laufen“ und von unserem emotionalen Erfahrungsgedächtnis (limbisches System und Stammhirn) in unseren individuellen Prägungs- und Intuitionskontext gesetzt zu werden. Dabei fragt der rational-sachliche Teil der Informationsverarbeitung: „Was ist vernünftig? Was macht Sinn?“ Das emotionale Erfahrungsgedächtnis verfügt nicht über Sprache. Es kommuniziert mit uns über somato-affektive Marker (siehe Züricher-Ressourcen-Modell). Die oben angeführten Körpersignale können nur auf „Ja oder nein“ antworten und resonieren auf die Frage „Habe ich Lust?“ Fühle ich mich wohl damit?“

 

Mal ehrlich, auf einer Skala von 1 bis 10: Wer von Ihnen kann sich vorstellen, in einer Board-Sitzung oder einem Teammeeting zu sitzen und bei einer wichtigen strategischen Entscheidung erst einmal seine somato-affektiven Marker abzufragen: „Habe ich Lust – ja / nein?“

In der bestehenden Arbeitsrealität kann einem das im ersten Moment fremd, ja vielleicht sogar „esoterisch“ vorkommen. Wenn wir uns aber anschauen, dass die Hirnforschung uns zeigt, dass wir genau diese Dualität: sowohl Verstand als auch Emotionen brauchen, um gute Entscheidungen zu treffen, werden wir vielleicht doch hellhörig. Vielleicht ergeben sich Meetingroutinen, in denen Sie dies testen können, was passiert, wenn wir uns 1 Minute Stille gönnen – jeder für sich – bevor wir eine Entscheidung treffen. Die Stille leiten wir mit einer Frage ein, die uns in dem Moment hilft, unser emotionales Erfahrungsgedächtnis zu aktivieren. In besonderen Zeiten hat man auf einmal eher die Erlaubnis, verrückte Dinge zu tun.