Im Gespräch mit LEA beleuchtet Prof. Dr. Margarete Boos, Professorin für Sozial- und Kommunikations-psychologie an der Universität Göttingen, die Auswirkungen der virtuellen Welt auf unser Arbeitsleben und die Zusammenarbeit in Teams.
LEA:Sie forschen zur Arbeit virtueller Teams. Wie verändert die wachsende Rolle digitaler Medien die Teamarbeit in Unternehmen?
Prof. Dr. Margarete Boos (MB): Die Aufgaben der Teams verändern sich nicht, aber die Art und Weise der Zusammenarbeit wird komplexer, wenn Mitarbeiter aus verschiedenen Standorten, Ländern und Kontinenten mittels digitaler Medien ein Team bilden. Ohne Treffen von Angesicht zu Angesicht ist es schwieriger den Zusammenhalt der Teams, die Identifikation mit gemeinsamen Aufgaben und das Vertrauen zueinander zu entwickeln. Genau das ist aber wichtig für die Motivation der einzelnen Mitarbeiter. Ganz ohne persönlichen Kontakt kommen Teams nicht aus. Deswegen empfehlen wir persönliche Treffen zu Beginn eines Projektes zum Kennenlernen der Teammitglieder, zu wichtigen Meilensteinen im Projekt und auch bei Krisen.
LEA: Welche Rolle spielt Selbststeuerung für virtuelle Teams und ihre Mitglieder?
MB: Selbststeuerung spielt eine große Rolle. Wir brauchen ein anderes Verständnis von Führung, das sich von einem Hierarchiedenken hin zu verteilter Führung bewegt. In virtuellen Teams sollten sich die Funktionen des Projektmanagements auf mehrere Schultern verteilen, damit die räumlich verteilt arbeitende Gruppe gut funktioniert. So wie auch Managementaufgaben in einem Start-Up meist von einem Führungsteam gemeinsam wahrgenommen werden: Einer hat die visionäre Geschäftsidee, ein Anderer kümmert sich um den Aufbau der Organisation, ein Dritter verantwortet die Finanzen, Nummer vier treibt das Marketing voran und wieder jemand anders kümmert sich um die Lösung interner Konflikte. Die Führungskraft in einem virtuellen Team sollte sich fragen: Welche der Funktionen von Führung möchte ich übernehmen und für welche möchte ich Mitglieder meines Teams gewinnen? Die Verteilung der verschiedenen Rollen und Funktionen im Team kann zu Beginn explizit und für alle erkennbar durchgeführt werden. In vielen Fällen ist es jedoch sinnvoller, bei der Verteilung dieser Rollen auf die Selbstorganisation der Teams zu vertrauen.
LEA: Inwiefern verändert sich dadurch die Rolle von Führung?
MB:Führungskräfte werden immer mehr zu Moderatoren, die die Kommunikation ihres Teams koordinieren und moderieren statt etwa die fachliche Arbeit inhaltlich zu steuern. Außerdem bleibt es wesentliche Aufgabe von Führungskräften Orientierung zu bieten. So sollten sie dafür Sorge tragen, zu Beginn der Zusammenarbeit die Ziele des Teams für alle Mitarbeiter gut sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Lob und Vertrauen zu ihren Mitarbeitern sollten Führungskräfte virtueller Teams explizit formulieren, denn sie haben nur wenig Möglichkeit dies im persönlichen Kontakt nonverbal zu vermitteln.
LEA:Was können Führungskräfte tun, um dieser Rolle gerecht zu werden?
MB:Sie brauchen eine neuartige Verbindung von Sozialkompetenz und Medienkompetenz, um bewusst und reflektiert die Kommunikation ihrer Teams zu unterstützen und ihr einen hilfreichen Rahmen zu geben. Die Medienkompetenz hilft, zu entscheiden für welchen Zweck und welche Situation welches Medium geeignet ist. Wann entfaltet eine E-Mail die beste Wirkung und wann hilft eine Videokonferenz weiter? Führungskräfte brauchen eine sichere Einschätzung, wo die Grenzen eines jeden Mediums liegen und wie man sie kompensieren kann. So wird es immer mehr zur Aufgabe von Führungskräften durch einen bewussten Einsatz von Medien einen Rahmen und eine Struktur zu schaffen, in dem ein Team gut miteinander arbeiten kann. So kann eine Führungskraft zum Beispiel die gemeinsame Formulierung von Regeln für die E-Mailkommunikation moderieren. Führungskräfte virtueller Teams brauchen insbesondere Teamfähigkeit, Offenheit und Reflektiertheit. Sie müssen in der Lage sein, ihr Führungsverständnis und ihre Rolle im Team zu reflektieren und bewusst zu gestalten. Auf dem Weg dorthin sind Coachings und entsprechende Seminare für Führungskräfte eine große Hilfe.
LEA:Welche Vision haben Sie von Führung in sogenannten Enterprise 2.0, also Unternehmen, deren Arbeitsprozesse immer stärker von digitalen und sozialen Medien geprägt werden?
MB: Führungskräfte werden immer mehr zu Unterstützern ihrer Teams. Sie werden die Arbeit ihrer Mitarbeiter moderieren und koordinieren und dabei aufmerksam reflektieren, welche Art von Koordination ihrem Team am besten hilft und welche Rolle sie dabei spielen wollen.
Das Interview führte Holger Schmitz