Führung zur Arbeit am System machen – Einblicke in Helmholtz-Gemeinschaft

Im Gespräch mit LEA verrät Dr. Jennifer Schevardo, Referentin im Bereich Strategie der Helmholtz-Gemeinschaft, welche Rolle der Austausch zwischen Führungskräften für die gesamte Führung im Unternehmen spielt.

 

Die Helmholtz-Gemeinschaft verbindet 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren. Mit mehr als 38.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Jahresbudget von über 4 Milliarden Euro ist sie die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands.


Dr. Jennifer Schevardo

Referentin im Bereich Strategie der Helmholtz-Gemeinschaft

Geschäftsstelle Berlin

Hermann von Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e.V.

 

 


LEA: In Ihrem Karriere- und Leadership-Netzwerk Helmholtz & Friends bringen Sie Führungskräfte der Helmholtz-Gemeinschaft miteinander in den Austausch. Was versprechen Sie sich davon?

Jennifer Schevardo (JS): Wir nehmen wahr, dass in Wirtschaftsunternehmen Führung immer mehr zu einem Thema wird. Es wird reflektiert, welche Führung gebraucht wird und wo Veränderung wichtig wäre. Das ist in der Welt der Wissenschaft noch anders. Wandel und Führung werden hier bisher kaum thematisiert. Zum Beispiel dominieren noch die etablierten und traditionellen Karrierewege. Entweder man schafft es, Professor zu werden oder eben nicht.

Doch wir spüren Veränderungsdruck aus zwei Richtungen. Zum einen treffen wir in der jüngeren Generation der Akademiker auf anspruchsvollere Arbeitskräfte aus der sogenannten Generation Y. Diese fordern mehr Klarheit über ihre beruflichen Möglichkeiten ein und hinterfragen die etablierten Institutionen. Zum Zweiten wächst der Wettbewerb um finanzielle Mittel. Wissenschaftler sind gefordert, Drittmittel einzuwerben und wirtschaftlich zu managen. Dazu gehört auch, sich nach außen zu präsentieren.

Für diesen wahrnehmbaren Veränderungsbedarf schafft die Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft Angebote wie unsere Helmholtz-Akademie für Führungskräfte oder eben das Netzwerk Helmholtz & Friends, das sich den Themen Karriereentwicklung und Leadership widmet. Über neuartige Formate, Plattformen und Veranstaltungen unterstützen wir unsere Führungskräfte, im Wandel den Überblick zu behalten und selbst aktive Akteure dieses Wandels zu sein.

So bleibt die Helmholtz-Gemeinschaft auch als Arbeitgeber attraktiv und zeitgemäß. Wir wollen hochqualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in die Lage versetzen Wertvolles für die Gesellschaft zu bewegen – und für ihre eigene berufliche Entwicklung.

LEA: Was passiert, wenn Ihre Führungskräfte sich als Peers über Führung austauschen?

JS: Für fachlich getriebene Menschen wie Wissenschaftler ist es oft ungewohnt, sich über Führung auszutauschen. Doch wenn sie sich darauf einlassen, haben sie oft wertvolle Aha-Erlebnisse. Sie fühlen sich erleichtert, wenn sie feststellen, dass ihre Peers ähnliche Erlebnisse und auch Probleme haben wie sie selbst.

Der Peer-Austausch fördert die Erkenntnis: „Wir sind keine Inseln“. Mit ihren Erlebnissen sind sie Teil einer Organisation, werden von dieser geprägt und haben die Möglichkeit, sie mit zu gestalten. Es wird sichtbar, dass sie wichtige Themen miteinander teilen. Sie beraten sich gegenseitig oder reflektieren ihre Erfahrungen in Projekten miteinander. So wächst die Kraft in der eigenen Organisation den Wandel voran zu treiben, wo er wichtig erscheint.

Aus dem Austausch der Führungskräfte entstehen Impulse für gemeinsames Gestalten. So hat zum Beispiel einer unserer Akademie-Alumni in Kooperation mit anderen Führungskräften die Prozesse in einem großen Bauprojekt im Bereich einer Forschungsinfrastrukturneu gestaltet. Über den Austausch mit seinen Peers in der Akademie hatte er die Erkenntnis gewonnen: „Wir müssen hier besser zusammen arbeiten.“

LEA: Über 100 Führungskräfte der Helmholtz-Gemeinschaft haben im Juni 2016 in einem Leadership-Lab miteinander reflektiert, wie sie als Führungskräfte die Wissenschaft von morgen gestalten wollen. Wie haben Sie es geschafft, so viele Führungskräfte in einen gehaltvollen Austausch über Führung zu bringen?

JS: Vor allem haben wir über ein spannendes Format einen Anreiz geboten, sich Zeit dafür zu nehmen. Sogenannte „Erlebnisräume“ boten Impulse zu hochrelevanten Fragestellungen wie dem Wandel in Wissenschaftsorganisationen. Die Themen haben wir auf vielfältige Arten erlebbar gemacht, zum Beispiel über Improvisationstheater und Soundcollagen.

Daneben konnten die Teilnehmer in Open-Space Sequenzen eigene Themen einbringen und miteinander bearbeiten. Diese Möglichkeit wurde sehr gut aufgenommen. Aufgeladen mit den Impulsen aus den Erlebnisräumen haben unsere Führungskräfte intensiv miteinander die Fragen diskutiert, die ihnen in Bezug auf die Zukunft der Helmholtz-Gemeinschaft wichtig sind.

Das Leadership Lab mit seinem interaktiven Format war eine Einladung an die Führungskräfte in der Helmholtz-Gemeinschaft als Experten und Akteure den Wandel in der Wissenschaft aktiv mit zu gestalten.

LEA: Welche Rückmeldung haben Sie zu Ihrem Leadership Lab erhalten?

JS: Die Teilnehmer haben die Veranstaltung als bereichernd erlebt, insbesondere das lebendige und offene Format hat ihnen gut gefallen. Da sie im Open Space eigene Themen einbringen konnten, haben sie sich zu den strategischen Fragen ausgetauscht, die auch in den einzelnen Forschungszentren aktuell auf der Tagesordnung stehen. So wurde der gemeinsame Fokus auf die Zukunftsthemen der Helmholtz-Gemeinschaft gestärkt.

Für uns als Geschäftsstelle lieferte die Veranstaltung viele Erkenntnisse, wie wir Veränderungsprozesse in der Helmholtz-Gemeinschaft unterstützen und auch als Arbeitgeber in der Wissenschaft immer attraktiver werden können.

LEA: Welche Tipps haben Sie, wie es Führungskräften im operativen Alltag gelingen kann, sich über Führung auszutauschen?

JS: Wir wissen von den Alumni unserer Führungsakademie wie herausfordernd es ist, den Austausch über Führungsthemen außerhalb unserer Seminare und Curricula in den operativen Alltag zu integrieren. Deswegen haben wir nun in unserer Akademie ein spezielles Transfercoaching etabliert, in dem der Transfer in den Alltag parallel zur Programmteilnahme reflektiert werden kann. Die Teilnehmer sollen so klarer verstehen, was sie wirklich umsetzen können und wie sie mit Blockaden umgehen können.

Die Reflexion darüber, was in einer Organisation geändert werden sollte um sie zukunftsfähiger zu machen, braucht Zeit und Raum. Diesen Raum kann man sich nur selbst geben und irgendwie in den so vollen operativen Alltag einbauen. Das erfordert Disziplin und Selbstmanagement, doch es lohnt sich.

Nach meiner Erfahrung funktioniert der Austausch über Führung dort besonders gut, wo man sich mit Leuten umgibt, denen man vertraut und mit denen man sich nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis befindet. Das kann über ein systematisches Peer-Feedback funktionieren oder auch über Mentoring, wenn es um persönliche Führungsthemen geht.

LEA: Und wenn Führungskräfte sich den Raum nehmen zum Austausch über Führung, welche Aspekte der gemeinsamen Führung sollten sie insbesondere reflektieren, um für ihre jeweilige Organisation Nützliches zu bewirken?

JS: Für die Helmholtz-Gemeinschaft ist zum Beispiel die Gestaltung von Karrierewegen ein hochrelevantes Thema. Wenn wir als Arbeitgeber dauerhaft exzellente Mitarbeiter anziehen wollen, sollten wir Karriereperspektiven jenseits des klassischen Weges in der Wissenschaft bieten, also Alternativen zur Professur.

Hier sind der Austausch zwischen unseren Führungskräften und das gemeinsame Ausloten neuer Möglichkeiten besonders wichtig. Denn das Thema ist zu groß, als dass einzelne Führungskräfte hier viel tun könnten ohne sich zu verheben. Dennoch kann sich hier keine Führungskraft aus der Verantwortung gegenüber ihren Mitarbeitern und Nachwuchskräften stehlen. Es braucht zumindest eine offene Kommunikation darüber, welche Perspektiven eine Laufbahn in der Wissenschaft bietet und wie sie damit umgehen können, falls es mit der Professur nicht klappt. Hierzu eine gemeinsame Haltung von Führung in der Helmholtz-Gemeinschaft abzustimmen, ist eine wichtige Aufgabe des Austausches zwischen unseren Führungskräften.

LEA: Liebe Frau Schevardo, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.

 

(Das Interview führte Holger Schmitz, Berater der LEA GmbH im Oktober 2016)

 

Es wird dringend Zeit Führung radikal neu zu denken
Kommentar von Christina Grubendorfer (LEA)

LEA durfte die Helmholtz-Gemeinschaft bei verschiedenen Anlässen dabei begleiten, Reflexionsräume für Führung zu öffnen, zum Beispiel beim Leadership Lab 2016. Es ist aus unserer Sicht bemerkenswert, wie diese große Wissenschaftsorganisation Führung zum Thema macht und ihre Führungskräfte einlädt, den Wandel in der Wissenschaft und der eigenen Organisation mitzugestalten. Denn so wird Führung zur Arbeit am System: Führungspersonen der Organisation werden in die Lage zu versetzt, Führung gemeinsam zu reflektieren und strategisch auszurichten.

Führung als Arbeit nicht nur im System, sondern auch am System zu betrachten, wird immer wichtiger für Organisationen, da sich die Ansprüche an sie selbst und ihre Führung rasant verändern. Es braucht zur Bewältigung dieser Herausforderungen nicht noch mehr Führungs-Helden, die als Einzelkämpfer und Alleskönner fit gemacht werden für ihre individuellen Führungsaufgaben (und dabei heute meist völlig überfordert sind). Organisationen brauchen stattdessen mehr und mehr die Kraft gut aufeinander abgestimmter Führungsteams, die die Spielregeln der Zusammenarbeit reflektieren, die sich in ihrer Organisation etabliert haben. Der Fokus der Aufmerksamkeit muss weg vom gewohnten Blick auf die einzelne Führungsperson und ihre individuellen Kompetenzen, hin zum Blick auf das Miteinander von Führungskräften. Das macht einen großen Unterschied und hat vielfältige Konsequenzen für die Personal- und Organisationsentwicklung. Mehr Führungsteamentwicklung, mehr Großveranstaltung mit Führungskräften, mehr kollegiale Beratung unter Führungskräften, mehr Strategieworkshops mit Führungskräften und weniger Coachings, Trainings, Seminare für einzelne Kompetenzen … Daraus resultiert ein neues Verständnis von „Führungskräfteentwicklung“ – sie wird zur „Führungsentwicklung“.

Führung sollte darauf schauen, wie sich die relevanten Umwelten der Organisation bzw. des Unternehmens entwickeln und sich fragen: Sind wir mit der Art und Weise von Führung hier noch gut unterwegs? Ist das nützlich dafür, wo wir gerade hin wollen? Denn Führung ist ja kein Selbstzweck, sondern soll dazu beitragen, dass die Organisation zumindest überlebt, besser aber noch ihre angestrebten Ziele erreicht.