Nachdem viele von uns vor einem Jahr noch hofften, Arbeiten und Führen von Zuhause aus wäre nur eine temporäre Erscheinung, mussten wir feststellen, es ist längst zur Realität geworden. Gegebenenfalls ertappt sich die eine oder der andere von uns dabei, dass der Sozialmuskel mittlerweile untertrainiert ist. Es hat also längst eine Gewöhnung und ein Einrichten in die veränderte Realität der sozialen Reduktion stattgefunden. Das Rad nun wieder zurückzudrehen, bedeutet tatsächlich Veränderung.
Vielerorts wird bereits das „alte Arbeitskonzept“ – das tägliche Im-Büro-Sein – abgeschafft. Eine 50:50-Regelung: 1/2 im Home Office – 1/2 Hälfte im Büro wird eingeführt. Andere Unternehmen wollen zwei Pflichttage vor Ort; die restlichen Tage können Mitarbeitende selbst entscheiden, wo sie arbeiten. Einige überlassen es ihren Teams sogar komplett, sich örtlich selbst zu organisieren.
Wieviel räumliche Gestaltungsfreiheit auch immer gegeben ist, klar wird, die Pandemie hat das räumliche Gestalten unserer Arbeit verändert. Was früher hart umkämpft oder schlicht verboten war (Home Office-Zeiten), ist machbar geworden und macht das Miteinander-Arbeiten und Führen flexibler, aber auch komplexer.
Die alten Mechanismus von Command & Control werden auf eine harte Probe gestellt. Sie funktionieren in diesem Setting wenig bis gar nicht. Das notorische „Neben-Dem-Schreibtisch-Stehen“, um sich zu vergewissern, dass auch alles mit rechten Dingen abläuft, ist weggefallen. Führende konnten lernen, dass es trotzdem funktioniert. Vielmehr wurden die Schranken zwischen Arbeit und Privaten noch fließender und damit arbeitsreicher. Viele setz(t)en sich abends nach dem Zubettgehen der Kinder wieder hin, um das Tagespensum und noch mehr zu schaffen.
Das spiegelt wider, was mir Führungskräfte heute berichten. Das Problem ist nicht, dass zu wenig gearbeitet wird, Sorgen bereiten vielmehr erschöpfte Teams nach einem Jahr virtuellen Meetingmarathon, Dauerstress und zusätzlicher emotionaler Belastung. Dazu kommt das ausgleichende Moment: der Spaß und die Gemeinschaft im Team ist durch die rein virtuellen Begegnung zu kurz gekommen. Das reine sachbezogene Abarbeiten von Aufgabenpaketen hat noch nie als Beziehungspflege gereicht. Sich persönlich begegnen – zufällig in der Kaffeeküche oder auf dem Gang – bleibt wichtig. Unsere menschlichen Bedürfnisse nach Gemeinschaft, Verbundenheit und Austausch lassen sich in der digitalen Welt nur zum Teil stillen.
Somit nimmt das Prinzip Fürsorge im Führungsalltag einen größeren Stellenwert als vorher ein. Häufige Anlässe für aktuelle Veränderungsbegleitung sind unter anderem folgende Fragen: Wie müssen wir uns als Team weiterentwickeln, dass wir bewusst örtliche, zeitliche und emotionale Räume fürs Miteinander in der hybriden Arbeitsrealität schaffen? Was kann ich als Führungskraft tun? Wie müssen wir unsere Spielregeln ändern, dass das Gelingen kann?
Wie gesagt, die physische Begegnung ist nicht ersetzbar. Ein Teil der Strategie ist sicher, den neuen hybriden Arbeitsalltag so zu kultivieren, dass es mindestens 1 Tag in der Wochenroutine gibt, wo sich das Team wieder in Präsenz begegnen kann. Ähnliches gilt für den beziehungsstiftenden 1:1-Austausch von Führungskraft und den einzelnen Teammitgliedern. Solche Termine sollten in der Wochenroutine integriert und durch bestimmte Rituale, z.B. Tele-Spaziergang als Listening Walks, kultiviert werden. Die bewusste Zeit zum reinen Zuhören ist in der Theorie schon lange als wichtige Führungsqualität verstanden. In der Praxis könnte die veränderte Dringlichkeit der Beziehungspflege helfen, sich aktiv Zuhör-Slots zu blocken.
Ein anderer Teil ist die Definition von Spielregeln, wie der virtuelle Tagesablauf gestaltet werden kann. Zum Beispiel scheint die Erlaubnis, 15-30min Verschnaufspause zwischen dem letzten und dem nächsten zoom-Call eine Handhabe, die tägliche Taktung und den Meetingmarathon zu drosseln.
Egal, wie die Spielregel lautet, entscheidend ist, dass es gelebte Kultur wird. Dafür ist es nötig, dass es zum guten Ton gehört und von Führenden als Role Model vorgelebt wird.