Auf der Suche nach der passenden Gelegenheit
Uns Agile Coaches war es wichtig, Veränderungen in der Organisation so einzuführen, dass sie für die Beteiligten einen unmittelbaren Nutzen bringen und wenig Ablenkung bedeuten. Wir erkannten, dass geplante Veränderungen oft als Störung der normalen Arbeit wahrgenommen werden und es daher schwierig ist, eine positive Einstellung für das neue Thema zu schaffen. Um diesem Problem entgegenzuwirken, suchten wir nach passenden Gelegenheiten, um Veränderungen einzuführen.
In Bezug auf teamübergreifende Zusammenarbeit hatten wir ein Thema identifiziert, die passende Gelegenheit fehlte allerdings. Wir nahmen uns vor, das Thema im Blick zu behalten.
Der Wind bläst rauer
Während wir darüber nachdachten, wie wir die Zusammenarbeit zwischen den Teams verbessern könnten, wurde die Marktsituation immer schwieriger. Die Geschäftsführung reagierte mit einer Anzahl von Sofortmaßnahmen. Es zeichnete sich ab, dass darüber hinaus eine Anpassung der Strategie notwendig sein würde. In dieser Situation war es einfach zu vermitteln, dass ineffektive Zusammenarbeit in dieser Lage nicht toleriert werden konnte. Das war unsere Gelegenheit, die teamübergreifende Zusammenarbeit anzugehen.
Erster Teil: Bestandsaufnahme
Im Zuge der Sofortmaßnahmen hatten die Teams bereits begonnen, Initiativen zu entwickeln, welche in Richtung der angepassten Strategie wirken sollten. Diese Überlegungen fanden, wie bislang üblich, weitgehend losgelöst voneinander statt. Der erste Schritt bestand deshalb aus unserer Sicht, die bereits vorliegenden Initiativen teamübergreifend sichtbar zu machen und ein gemeinsames Lagebild herzustellen.
Unsere Vorüberlegungen
Um das gemeinsame Lagebild zu erstellen, konzipierten wir einen Workshop mit allen Product Ownern und dem Head of Product. Der Workshop hatte zum Ziel, dass die Product Owner sich über die existierenden Initiativen im Klaren sind und verstehen, in welchem Stadium sie sich befinden und welches Potenzial sie haben. Ferner sollten die Product Owner wissen, welche Unterstützung von anderen Teams benötigt wird, um die Initiativen voranzubringen.
Ein zentraler Punkt in meinen vorbereitenden Gesprächen mit dem Head of Product war, was genau das Ergebnis des Workshops sein sollte. Es wurde klar, dass als Ergebnis nicht die Entscheidung über Umsetzungsprioritäten stehen sollte. Es war dem Head of Product sehr wichtig, die Entscheidungsautonomie der Product Owner zu betonen. Eine gemeinsame Priorisierung in dem Workshop hätte bedeutet, diese Autonomie und Verantwortung zu untergraben und entweder an ihn oder die Gruppe zu delegieren.
Stattdessen sollte als Ergebnis eine verbesserte Informationsgrundlage für die Product Owner geschaffen werden. Auf dieser Basis sollten die Product Owner (in Abstimmung mit dem Head of Product) dann die notwendigen Entscheidungen treffen. Denn es war auch klar, dass nur ein kleiner Teil der Initiativen würde umgesetzt werden können, wenn eine Überlastung der Organisation und die daraus folgende gegenseitige Blockierung vermieden werden sollte. Der Erfolg des Prozesses würde sich daran ablesen lassen, inwieweit die Product Owner bereit wären, ihre eigenen “Darlings” zu opfern, um Raum für Initiativen anderer Teams zu schaffen, deren strategische Bedeutung größer eingeschätzt wird.
Aus dieser Klarheit ergab sich für mich auch ein besseres Verständnis der Rolle der Führung in dem Ausrichtungsprozess. Die Aufgabe war eben nicht, Entscheidungen (über die Product Owner hinweg) zu treffen, sondern einen Rahmen zu schaffen, in dem diese Entscheidungen unter Berücksichtigung des größeren Kontextes treffen können. Und dann auch einzufordern, dass diese Entscheidungen getroffen werden.
Die Klarheit über das Ziel des Workshops und über die Verantwortung der Beteiligten im Prozess stellt für mich einen entscheidenden Moment in dem gesamten Prozess dar. An sich handelt es sich lediglich um die Anwendung eines Grundprinzips dezentraler, agiler Organisation. Ich habe jedoch immer wieder erlebt, wie, trotz bester Absichten und großer Anstrengungen, die Anwendung dieser Prinzipien im Alltag scheitert. Mir scheint, es sind oft kleine, subtile Details wie die präzise Zielsetzung eines Workshops, die darüber entscheiden, ob die Entwicklung in Richtung einer gewünschten Arbeitsweise stattfindet oder scheitert.
Ich besprach mit dem Head of Product, seine Rolle als Facilitator des dezentralen Entscheidens darüber erlebbar zu machen, dass er bereits in dem Workshop Rückmeldung gibt, inwieweit die Beträge der Product Owner seinen Vorstellungen von Verantwortungsübernahme entsprechen
Der Workshop wurde von zwei Agile Coaches moderiert und zielte darauf ab, ein gemeinsames Verständnis für die Initiativen und deren Bedeutung für die übergreifende Strategie zu schaffen. Als Grundlage des Workshops wählten wir die Visualisierung einer Schatzinsel. Die Teilnehmer platzierten ihre Ideen als Schiffe auf gemeinsamer Visualisierung. Dabei stellte die Entfernung zur Insel den aktuellen Stand dar, die Größe des Schiffs, wie viele Menschen an der Initiative beteiligt sind und eine Anzahl von Geldsäcken, wie das wirtschaftliche Potenzial eingeschätzt wurde. Die Gruppe stand dabei vor der “Schatzkarte” und die Ideen wurden gemeinsam besprochen. Die vielen Nachfragen waren dabei ein Indikator für den Wert der Aktivität und dafür, dass wie erhofft eine neue Qualität gemeinsamen Verstehens erreicht wurde. Es freute mich sehr, dass sich bereits im Verlauf des Workshops teilweise Impulse zur Zusammenarbeit zwischen den Teams ergaben.
Im zweiten Teil des Workshops wurde eine Fishbowl Diskussion durchgeführt, in der die Wirkung der erarbeiteten Informationen und die nächsten Schritte diskutiert wurden. Der Head of Product nahm dabei als Teilnehmer im Stuhlkreis teil, so wie alle anderen auch. Für mich war der Fishbowl eine schöne Gelegenheit, vorübergehend die Rolle des Moderators zu verlassen und Impulse in Bezug auf Prozess und Zusammenarbeit zu setzen.
Der Workshop wurde von allen Teilnehmern als großer Erfolg wahrgenommen. Der erreichte Stand an gemeinsamer Ausrichtung war gut, allerdings nicht ausreichend, um die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch unklar, was genau notwendig war, um an diesen Punkt zu kommen.
Fortsetzung: Zahlen, Daten, Fakten
Nach dem Workshop wurde deutlich, dass es noch Verbesserungsbedarf bei der Vergleichbarkeit der Initiativen gab, um eine fundierte Entscheidung treffen zu können. Außerdem war die Menge an Initiativen zu groß, um sie gut miteinander in Beziehung zu setzen. Der Head of Product führte gemeinsame Bewertungskriterien ein und forderte die Product Owner auf, diese Kriterien in das Bewertungsschema zu integrieren. In diesem Prozess übernahm der Head verschiedene Führungsrollen wie das Setzen von Rahmenbedingungen, das Einfordern von Verbindlichkeit und das Coaching der Product Owner.
Auf Basis der ergänzten Daten wurde die Liste der Initiativen reduziert, indem Initiativen entfernt wurden, bei denen die Daten unvollständig waren, das Potenzial zu gering war oder der Realisierungszeitpunkt zu weit in der Zukunft lag. Diese Entscheidungen wurden von Product Ownern in Abstimmung mit dem Head getroffen. Durch diese Filterung wurde die Liste deutlich handhabbarer, jedoch immer noch zu lang. Um eine Überforderung und Blockierung zu vermeiden, wurden die vielversprechendsten Themen ausgewählt, um weiter daran zu arbeiten.