Eine gute Freundin triumphierte kürzlich: „Corona sei Dank: Ich habe jetzt die Freiheiten wie ein Freelancer und trotzdem die Sicherheit meiner Festanstellung.“
Unter dem Druck der letzten Monate sind die Dinge massiv in Bewegung geraten. Wir alle blieben zu Hause – nichtsahnend, dass dieser Lockdown zwar irgendwann zu Ende geht, das Home Office aber nicht. Die viel zitierte „Zukunft der Arbeit“ wurde von heute auf morgen für viele Berufstätige und Organisationen greifbarer denn je. Unvorstellbares wie konstantes Home Office oder virtuelle Workshops wurden plötzlich ganz schnell umsetzbar, wenn auch nicht immer hürdenfrei.
Und nach dieser Remote-Work-Welle kommt schon die nächste Neuerung – unauffälliger und schleichender. Denn mit dem Ende des Lockdowns in Deutschland setzte die Ära der hybriden Arbeitsmodelle ein – eine bisher kaum verbreitete Mischung aus mobilem Arbeiten und Büropräsenz. Manche Festangestellte, so man sie lässt, werden auch weiterhin lieber von zu Hause arbeiten, andere werden vollständig zurück ins Büro kehren und wieder andere werden sich irgendwo dazwischen einpendeln.
Diese hybride Ära wird voraussichtlich überdauern und die Arbeitslandschaft wird in vielen Unternehmen nicht mehr dieselbe sein wie vor „Corona“. Zu groß sind die Vorteile für alle Seiten. Zu zwingend ihre Notwendigkeit in der aktuellen Situation und bei erneuten Pandemien.
So haben viele ArbeitnehmerInnen nun jeden Morgen die Qual der Wahl, wie, wann und von wo aus sie am besten arbeiten: Arbeite ich heute von zuhause oder gehe ich ins Café oder sogar ins Büro? Bin ich heute am Küchentisch oder auf dem Sofa produktiver? Gehe ich erst noch joggen oder lege ich lieber sofort los und nehme mir dafür mittags drei Stunden frei?
Diese typischen Entscheidungen vieler Freelancer und Selbständigen beschäftigen plötzlich auch viele Festangestellte. Da ist sie nun, die sonst teils neidisch beäugte Freiheit – die Weisungsungebundenheit zumindest was Raum und Zeit betrifft. Und die vielversprechende Work-Life-Balance. Plötzlich geht es also doch: Das selbstverantwortliche und selbstorganisierte Arbeiten auf ein Ergebnis hin. Und das Ergebnis ist sogar gar nicht so schlecht – und auch nicht der Prozess dorthin.
Viele Festangestellte wollen diese Freiheit und Flexibilität, Selbstorganisation und Selbstverantwortung nicht mehr hergeben. Endlich erfüllen sich diese vier Kernversprechen vieler Employer Branding-Strategien mit aller Konsequenz – als Nebenprodukt einer Pandemie und ihren Folgen.
Auf der anderen Seite stehen die Organisationen. Um zukunftsfähig zu sein, müssen sie auf die Bedürfnisse der ArbeitnehmerInnen nach mehr Flexibilität Antworten finden und sie zu freier Zeiteinteilung und selbstverantwortlichen Arbeiten befähigen. Einige sind dort schon angekommen. Andere haben bereits dafür „geübt“ – mit Gleitzeit, Trello, Microsoft Teams & Co. Die Pandemie zwingt nun alle, sich diesen neuen Arbeitsweisen im Schnelldurchlauf anzupassen.
Parallel zum Home Office ist es für Organisationen sinnvoll, an dem Konzept „Büro“ als Ort der Zusammenkunft und Identifikation festzuhalten. Einerseits weil es genug MitarbeiterInnen gibt, die die Begegnung, Zusammenarbeit und den Austausch schätzen und auch brauchen – egal ob täglich oder nur ab und zu. Andererseits entsteht Kreativität und Innovation vor allem in solchen sozialen Prozessen. Lars Vollmer, Unternehmer und Bestsellerautor, geht sogar so weit zu sagen: „Innovation ist etwas Soziales und höchst relevanter Teil der Wertschöpfung. Und das Soziale passiert nun mal auf der Hinterbühne eines Unternehmens – oder gar nicht. … Homeoffice bedroht die Leistungsfähigkeit von Unternehmen, und zwar substanziell.“ Und es schwächt die Identifikation mit der Kultur und Organisation als solche. (https://www.capital.de/karriere/warum-sich-deutschland-homeoffice-gar-nicht-leisten-kann)
Am Ende wird jede Organisation für die eigene Zukunftsfähigkeit eine individuelle Lösung finden, die irgendwo zwischen „remote“ und „office“ liegt und einerseits den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird und andererseits die Produktivität und Innovationskraft aufrechterhält. Katy Roewer, OTTO-Bereichsvorstand Service & HR, schreibt auf LinkedIn: „Nur wenn wir beides können und beides fördern – Präsenzkultur und mobiles Arbeiten – sind wir gut aufgestellt für die Zukunft und attraktiv für die junge Generation. Hybride Arbeitsmodelle zeigen das Beste aus beiden Welten.“
Die pure Präsenzkultur wird ersetzt durch den Fokus auf Arbeitsergebnisse. Egal wie, wo und wann sie produziert werden. Wenn die Angestellten zeitlich und räumlich flexibel arbeiten, dann geben die Organisationen auch Kontrolle ab und herkömmliche Mechanismen greifen nicht mehr (ausreichend). Für diese neue Situation braucht es eine solide Vertrauensbasis und die Gewährleistung der Arbeitsfähigkeit zu Hause und im Büro. Hierfür sollten alle Säulen einer Organisation betrachtet und ggf. „angefasst“ werden.
- Führung: Führungskräfte werden noch mehr zu Vermittlern zwischen der Organisation und den Angestellten, die für gleiche Arbeitsbedingungen und Beteiligungschancen zu Hause und im Büro sorgen und die MitarbeiterInnen als Teams und als Individuen zu mehr Autonomie motivieren. Sie müssen sich darauf einlassen und verlassen, dass die Arbeit von den MitarbeiterInnen zuverlässig erledigt wird, nur eben selbst gestaltet.
- Strukturen & Prozesse: Führung kann nur dann gut funktionieren, wenn auch die Strukturen und Prozesse unterstützend wirken. Auch diese müssen also an die neuen hybriden Arbeitsbedingungen angepasst werden, um bei aller Flexibilität und Autonomie dennoch ein Maß an Verbindlichkeit und Orientierung zu garantieren. Im Sinne einer klaren Aufbau- und Ablauforganisation.
- Kultur & Zusammenarbeit: Die hybriden Arbeitsmodelle brauchen einerseits eine Kultur, die diese ermöglicht und andererseits wird sich die Kultur infolge der Veränderungen weiter anpassen und mit entwickeln. Nicht nur das Zusammenarbeiten ändert sich grundlegend, auch die sozialen Interaktionen folgen einer neuen Logik.
- Kommunikation & Austausch: Um Vertrauen zu schaffen, das Wir-Gefühl fortzusetzen und Ziele, Erwartungen und Angebote zu vermitteln, braucht es eine klare, offene Kommunikation und verbindliche Austauschformate. Diese müssen angesichts der hybriden Situation umso bedachter gewählt und engagierter betrieben werden.
Wenn Organisationen entlang dieser vier Bereiche dafür sorgen, dass Angestellte die Freiheit und Möglichkeit haben zu entscheiden, wie, wann und wo sie arbeiten, steht der Zukunft des hybriden Arbeitens nichts mehr im Wege.
Und der Mensch? Der ist flexibel genug, sich an diese neuen Bedingungen anzupassen und ihnen sogar auch einiges Positives abzugewinnen. Für viele Festangestellte wurde das Mehr an Autonomie und an Work-Life-Balance von heute auf morgen so selbstverständlich wie für Freelancer und Selbständige. Und plötzlich gibt es mehr Einendes als Trennendes.