Innovationen passieren in Organisationen vor allem dort wo niemand hinschaut, wenn üblicherweise nach Innovationen gesucht wird. In großen Organisationen gibt es meist eigene Bereiche oder zumindest Funktionen, wie das Innovationsmanagement, die offiziell für Innovationen zuständig sind. Wenn man nur diesen Fokus wählt um die Innovationskraft einer Organisation zu bewerten, dann wird ein falsches Bild erzeugt. Denn ein Großteil der Innovationen werden in Organisationen auf der Hinterbühne erfunden und umgesetzt, also jenseits der formalen und offiziellen Strukturen. Und das ist auch gut so, denn Organisationen blieben sonst weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Welche Innovationen sind hier gemeint?
Mitarbeitende suchen sich in ihrem Arbeitsbereich eigene Wege und Mittel, um ihre Aufgaben bestmöglich zu erledigen. Diese neuen Varianten des Arbeitens, des Organisierens, sind häufig gegen die formalen Regeln der Organisation, man könnte auch sagen illegal, weshalb sie nur informell eingesetzt werden.
Aber sie sind innovativ, sie bringen Variation rein.
Mitarbeitende organisieren sich besser als es formal vorgegeben wäre. Es wäre klug, diese alltäglichen Innovationen zu beobachten und sie zu belohnen statt sie zu kritisieren oder gar zu sanktionieren. Es bräuchte gar keine parallelen Innovationsprogramme, wenn Organisationen formal unterstützen würden, was informell entwickelt wird. Gleichzeitig wäre es auch seltsam, wenn Organisationen ihre Mitglieder dazu aufrufen würden, sich nicht mehr an die formalen Regeln zu halten und stattdessen ihre eigenen Vorgehensweisen zu entwickeln. Das braucht es aber auch gar nicht, denn Alltagsinnovationen gibt es in Masse auch ohne diesen Aufruf. Mitarbeitende haben viele sehr gute Ideen, die allerdings keine Kraft entfalten können in einer Organisation, wenn sich keiner dieser Ideen annimmt. Es fehlen dann die formalen Hebel, um eine Idee auch organisationsweit auszurollen. Sie werden dann unter den Teppich gekehrt, aus lauter Sorge die negativen Konsequenzen tragen zu müssen. Und noch viel schlimmer, sie werden nicht weitergedacht, nicht größer gemacht, nicht mit Ressourcen ausgestattet. Potenziale werden nicht genutzt, Mitarbeitende werden frustriert statt gefördert. Wer kennt das nicht?
So entsteht dann auch das Bild der typischerweise behäbigen Organisation, der es an Innovationsfreudigkeit fehlt. Und so kommt es dann auch zur Zementierung des Stereotyps, dass Start-ups so viel mehr Innovationen in die Welt bringen als große bzw. bereits etablierte Organisationen. Doch diese Annahme lässt sich bei näherer Betrachtung gar nicht halten. Start-ups haben es nur sehr viel leichter, Ideen auch in die Umsetzung zu bringen. Sie sind risikofähiger. Schon allein aufgrund ihrer Größe sind die Folgen einer in den Sand gesetzten Idee nicht so groß. Auch haben sie den Vorteil, gesellschaftlich und politisch noch unter dem Radar zu fliegen. Da wird dann auch schnell mal was ausprobiert, bevor die dafür nötigen Zertifikate von den zuständigen Behörden auf dem Tisch liegen. Sie haben nicht viel zu verlieren. Wenn 10 Personen ihren Job oder ihren guten Ruf riskieren, so ist das leichter zu verkraften als wenn das gleich Hunderte oder Tausende von Mitarbeitenden betrifft. Die möglichen negativen Konsequenzen eines Wagnisses sind in der Start-up Welt ein Teil des Spiels, das große Organisationen nicht mitspielen können, weil sie zu viel zu verlieren haben. Deshalb sorgen gestandene Organisationen auch dafür, dass möglichst alles legal läuft.
Die Schwierigkeit der Innovation liegt nicht in der Ideenfindung und Ideenentwicklung. Hierfür gibt es auch hoch wirksame Methoden wie zum Beispiel Design Thinking Prozesse. Es ist fast keine Kunst, gute Ideen zu entwickeln, wenn ein paar intelligente Köpfe für ein paar Tage kreativ miteinander arbeiten können. Doch danach wird es haarig. Wenn es um die Realisierung, um die Umsetzung innerhalb der Organisation geht. Da zeigen sich dann die Grenzen der Veränderbarkeit von Organisationen.
Wurde vorher ein Innovation Hub in Berlin gegründet und ist es dann auch gelungen, neue Geschäftsmodelle, Produkt- oder Prozessinnovationen zu entwickeln, so scheitert es dann an der Integration dieser Innovationen in den Konzern. Schaut man genauer hin, so gelingt dies so gut wie nie.
Was ist da los? Wie ist das zu erklären?
Eine mögliche Erklärung ist, dass unterschätzt wird, wieviel Aufwand betrieben werden muss, um Innovationen in großen Organisationen in die Umsetzung zu bringen. Dass diese Umsetzung ein Mehrfaches an personeller Aufmerksamkeit, Zeit und Geld benötigt als die Findung und Entwicklung von Idee. Und dass diese Umsetzung auch weitaus freudloser ist, um nicht zu sagen regelrecht unangenehm, und sich dafür viel schwerer Personen finden, die erstens dazu in der Lage und zweitens gewillt sind, diesen Teil des Innovationsprozesses zu managen. Wenn managen hier überhaupt das richtige Wort ist. Denn nun hat man es plötzlich mit der Komplexität eines sozialen Systems zu tun, das nach einer Eigenlogik funktioniert, die sich nicht so einfach entschlüsseln lässt. Das muss aber passieren, um weitreichende Veränderungen zu realisieren. Man muss an den Bauplan der Organisation ran, was nicht heißen soll, dass eine Organisation mechanistisch betrachtet werden sollte. Im Gegenteil.
Organisationen gleichen in ihrer Funktionslogik viel mehr einem lebenden Organismus als einer Maschine. Der Aufwand, der in Organisationen betrieben wird, um Ideen zu entwickeln, steht meist in keinem Verhältnis zum Aufwand, der danach betrieben wird, um diese Ideen auch in die Umsetzung zu bringen. Innovationen brauchen also Führung. Eine Führung, die in der Lage ist, die Organisation zu lesen und mit den mikropolitischen Spielchen umzugehen. Mit dem Spiel gegen das Spiel. So kann es gehen. Das heißt aber auch, es wäre in manchen Fällen besser, die Innovation gleich innerhalb der eigenen Strukturen zu entwickeln statt sie künstlich nach „draußen“ zu geben um sie dann nicht wieder „rein“ zu bekommen. Dass das schwer ist wird schnell klar, wenn man auch hierfür wieder die Metapher des lebenden Organismus nutzt. Man muss sich nur mal vorstellen, wie es gelingen kann, aus zwei lebenden Organismen einen zu machen…
Wie man es auch macht, es ist mit wieder anderen Chancen und Problemen zu rechnen. Aufgabe von Führung ist es, diese zu reflektieren und dann gemeinsam zu intelligenten Entscheidungen zu kommen. Und hierfür braucht es übrigens auch Hierarchie. Wer darüber entscheidet, welche Ideen des Innovation-Hub Einzug in die Organisation halten, sollte für die ganze Organisation verantwortlich sein und nicht nur für einen Teilbereich. Aus Sicht des einen Teilbereichs erscheint der neue Prozess vorteilhaft, aus Sicht des anderen Bereichs eher von Nachteil. Diese Bereichs-Rationalitäten sind ganz normal und an sich nichts Schlimmes, doch sie müssen eben auch zusammengebracht werden zu einer Entscheidung, die für die ganze Organisation die beste zu sein scheint. Was ist also zu tun, um einen klugen Umgang mit dem Thema zu finden?
3 Tipps zur Förderung von Innovationen:
- Organisationen sollten reflektieren, wie sie mit Regelabweichungen umgehen. Statt alle Abweichungen zu sanktionieren, sollten sie sich eher interessiert den „neuen Vorschlägen“ (denn so könnten Regelabweichungen auch betrachtet werden) ihrer Mitarbeitenden zuwenden und sich fragen, wie sich diese Praktiken auch an anderen Stellen der Organisation lohnen könnten.
- Organisationen sollten ihre Ressourcen nicht nur in die Ideenentwicklung stecken (auf welche Weise das auch immer geschieht), sondern sich mit mindestens der gleichen Kraft und besser einem noch höheren Einsatz von Mitteln auf die Umsetzung und Implementierung dieser Innovationen konzentrieren. Innovationen brauchen Führung.
- Organisationen sollten Innovationen nicht in einen Bereich delegieren, sondern sie zur Chefsache machen. Sonst werden gute Ideen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Opfer mikropolitischer Spielchen.
Hier noch zwei Hörtipps zum Thema:
LEA Podcast „Organisationen entwickeln“, Episode #13: Wie kommen Konzerne zu Innovationen? 19.12.2019 (https://become-better.org/podcast/innovation/)
Podcast „Der ganz formale Wahnsinn“, Episode #16: Innovationen. Gute Ideen sind Alltag – ihre Verstetigung ist das Problem. (https://anchor.fm/wahnsinn/episodes/16-Innovationen-Gute-Ideen-sind-Alltag—ihre-Verstetigung-ist-das-Problem-eo25ir)
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