„Mit Enttäuschung umgehen, das ist auch immer Teil unseres Beratungsauftrags“ – zumindest wenn wir es mit Kultur zu tun bekommen. Mit dieser Provokation leitete Dirk Baecker das 3. Wittener Symposium zum Thema „Kulturtransformation in agilen Zeiten“ ein.
Kern seines theoretischen Auftakts mit dem Titel „Mit und gegen die Kultur“ war die Auseinandersetzung mit dem Kulturantropologen Bonislaw Malinowski. Malinowski untersuchte Organisationen kulturell hinsichtlich ihres Personals „Wer betreibt Kultur?“, ihrer Verfassung „Wonach wollen wir uns richten?“ sowie ihrer Normen „Was verlangen wir, dann wirklich zu tun?“. Genau an diesen drei Faktoren setzt bei ihm Kulturveränderung an. Welche Kultur sich dann tatsächlich zeigt, hängt stark von den Umwelteinflüssen des Unternehmens ab. Mit oder Gegen die Kultur. Denn sowohl das Personal als auch die Umwelt sind zwei unkontrollierbare Faktoren, die bestimmen, inwiefern Normen und Werte tatsächlich in Unternehmen gelebt werden. Bei der Betrachtung, wie Kulturtransformation gelingen kann, können diese unkontrollierbaren Einflüsse also nicht ignoriert werden, sondern müssen mit einkalkuliert werden.
Der zweite vortragende Systemtheoretiker, Torsten Groth, vertiefte diese Kulturtheorie. Er setzte seinen Schwerpunkt auf die Entscheidungsprämissen von Niklas Luhmann (2000). Entscheidbare Entscheidungsprämissen (kurz: Vorannahmen, auf Grundlage derer Entscheidungen in Unternehmen getroffen werden), wie Strukturen, Prozesse oder Kommunikationswege lassen sich verändern. Unentscheidbar ist hingegen die Kultur in Unternehmen. Sie lässt sich nicht direkt beeinflussen, sondern nur en passánt – ganz nebenbei. Ohne Strategie und Ziel. Ergänzend warb er im digitalen Zeitalter um die Erweiterung der Entscheidungsprämissen um Algorithmen. Denn Entscheidungen werden in Zukunft auch auf Grundlage algorithmisch-automatischer Vorhersagen getroffen. Diesen unkontrollierbaren Faktor dürfe man bei der Gestaltung von Unternehmen – also auch von Kulturen – nicht mehr außer Acht lassen, wenn man in der Praxis sich fragt: Wie können wir Rahmenbedingungen im Unternehmen schaffen, so dass Kulturtransformation gelingt?
Der dritte Wissenschaftler, Werner Vogd, fasste es zusammen: Kultur ist Heavy Stuff. Ein sogenannter Tiefwurzler, der nicht ohne weiteres greifbar ist. Kultur ist mühsam zu erforschen. Noch weniger lässt sie sich aus ihrem „Ökosystem“ entfernen oder austauschen. Er betonte: „Man muss bei der Bearbeitung von Kultur mit der Paradoxie umgehen, dass man immer nur einen Teil verstehen und noch weniger bewusst gestalten kann, obwohl Unternehmenskultur uns doch so gegenwärtig erscheint.“ Denn letztlich kann man nur anhand von Verhaltensbeobachtungen oder Beschreibungen, Annahmen über eine Unternehmenskultur treffen. Niemals aber sie in Gänze erfassen. An die Frage, wie und ob Kultur beeinflussbar ist, schlossen die Erfahrungen von Praktikern an: Deren Grundtenor war: Ja, aber…
LEAs Geschäftsführung Christina Grubendorfer war eine von ihnen. Ihr Hauptaugenmerk lag auf dem Thema „Kultur verstehen und verändern“. Vor jeglichem Verstehen und Verändern liegt aber das Wofür. Kulturanalyse ist kein Selbstzweck. Es muss klar sein, was Unternehmen sich davon versprechen und wozu sie ihre Kultur entwickeln wollen. Es gibt Projekte, da sind Kulturanalysen unerlässlich: wie z. B. bei Employer Branding. Hier ist das Wofür geklärt. Denn, wie Christina Grubendorfer aus ihrer langjährigen Employer Branding-Erfahrung weiß: Eine starke Arbeitgebermarke kommt von innen heraus. Dafür muss ich die Arbeitgeberidentität eines Unternehmens ergründen. Grundsätzlich bekommt man es immer dann mit Kultur zu tun, wenn es wehtut. Sprich, wenn man als Berater erstaunte Blicke bis Widerstände erntet, weil das eigene Verhalten irritiert oder gar auf Ablehnung innerhalb des Unternehmens stößt: „Das funktioniert bei uns aber so und so!“. Das sind teure Funde! Was aber dann? Wie kann ich als Berater oder interner Change Agent Kultur wirksam beeinflussen? Wieder ermutigte Christina Grubendorfer auf das Wofür zu schauen und mit dem Soll im Blick über das Wie und Was zu entscheiden. Sie folgt dem systemtheoretischen Appell: Kultur muss über Bande angespielt werden – en passánt. Das heißt, indem ich Strukturen verändere, neue Führungsebenen einführe und meine Kommunikationswege ändere oder für meine Kultur „untypische“ Personen einstelle. Deswegen passt „Kulturtransformation“: Es dauert lange und ist ein unvorhersehbarer Prozess. Meine Empfehlung für Kulturprojekte ist daher: Agil bleiben, Schritt für Schritt vorgehen, mit Unterschieden und Gemeinsamkeiten jonglieren – mal mit, mal gegen die Kultur einen Impuls setzen. Dann passiert was! Nur was? Das wird sich im Nachhinein zeigen!