In Zeiten des agilen Arbeitens und der ganzen „New Work“-Ansätze klang der Titel „Projektmanagement – Hierarchiekrise, Systemabwehr, Komplexitätsbewältigung“ von Ewald E. Krainz und Peter Heintel für mich zugleich provokativ und vielversprechend. Veröffentlicht wurde das Buch 2015 in seiner sechsten Auflage vom Springer Gabler Verlag in Wiesbaden. Der folgende Artikel ist eine kurze Zusammenfassung des Buches durchmischt mit meinen Leseerfahrungen.
Das Vorwort des Buches steigerte durch folgende Statements mein Interesse:
- „Dabei ist die Hierarchie schon lange das Problem, für dessen Lösung sie sich hält“ (S.V)
- Hierarchiefrei geht es in Organisationen nicht
- Systemabwehr ist der Widerspruch zwischen Hierarchie und Projekt
- Die Suche nach den richtigen Werkzeugen für Projektmanagement ist zu einem guten Teil illusionär
Am meisten gepackt hat mich allerdings das Statement, dass es sich bei diesem Buch nicht um ein Kochbuch handelt, das einfach nur verschiedene Möglichkeiten präsentiert, wie man Projektmanagement gestalten kann. Denn Projektmanagement gelingt nicht einfach mit den richtigen Zutaten (Ressourcen, wie z.B. Mitarbeiter, Geld, etc.) und der passenden Zubereitungsbeschreibung (Prozesse, Methoden, etc.). Es ist lediglich möglich, Faktoren zu extrahieren, die es bei der Umsetzung von Projektmanagement zu beachten gilt. Diese können aber nicht zu pauschalisierten Erfolgsrezepten umgeformt werden, sondern es bedarf eines immer neuen Hinschauens auf den Einzelfall, auf die eigene Komplexitätsbewältigung und auf die organisationsinternen Systemlogiken. Diese Argumentation halte ich dabei für absolut schlüssig und für einen sehr authentischen Buchanfang der Lust auf mehr macht.
Das Buch liefert dabei im Kontext des Projektmanagements viele hilfreiche Anregungen und Reflexionen. Die für mich zentralen Elemente sind:
- Systemabwehr als zu überwindenden Störfaktor bei der Einführung und Durchführung von Projektmanagement
- Der Begriff des Organisationsbewusstseins als notweniges Element für gelingendes Projektmanagement
- Die Sozial- und Organisationsdynamik im Projektmanagement
Diese drei Elemente möchte ich im Weiteren ausführen, um einen kleinen Vorgeschmack auf die weitreichenden und themenübergreifenden Inhalte des Buches zu geben. Doch zunächst einige Vorüberlegungen:
In einer hierarchisch organisierten Organisation gibt es klare Machtverhältnisse und Entscheidungsstrukturen im Sinne einer Top-Down Struktur und Vorgesetzten (die sogenannte Linie). Dabei entstehen klare Kompetenz- und Aufgabenbereiche, die von unterschiedlichen Personen ausgefüllt werden. Dies bietet innerhalb der Organisation Rollensicherheit und sozialen Status, welcher mitunter mit anderen Bevorzugungen einhergeht. Mit der Einführung von Projektmanagement (also der abteilungs- und hierarchieübergreifenden Arbeit in Projekten) werden diese festen Strukturen aufgebrochen. Plötzlich sind keine Einzelpersonen mehr verantwortlich, sondern ein Projektteam. Die Projektteams sind nun verantwortlich Entscheidungen zu treffen, die vorher von Einzelnen getroffen wurden. Dass dies einen Komplexitätsanstieg bedeutet und mit einem längeren Entscheidungsprozess einhergeht, liegt auf der Hand. Nichtsdestotrotz hat ein Projektteam den Vorteil, dass es Gruppenwissen aggregiert und damit vermutlich kompetentere Entscheidungen treffen kann. Dies allerdings auch nur, wenn die Kommunikation gelingt.
Warum kann das Einführen von Projektmanagement zu einer „Systemabwehr“ führen?
Mit der Einführung von Projektmanagement werden feste Positionen und damit auch Kompetenzbereiche (für die Mitarbeiter mitunter lange gearbeitet haben) aufgeweicht. Dass gerade Mitarbeiter, die sich ihren Platz in der Organisation hart erkämpft haben, sich dagegen wehren, erscheint nur nachvollziehbar. Da zunächst nicht mehr eindeutig ist, wer für was verantwortlich ist und wer Entscheidungen trifft, droht der Verlust von Status und Rollensicherheit der eigenen Position. Drastischer gesprochen kann man sich als mitarbeitende Person die Frage stellen, ob man nach der Umstellung überhaupt noch gebraucht wird. Dies führt zu einer enormen Verunsicherung aller Beteiligten, gegen die sie sich wehren (Systemabwehr). „Gegen Systemabwehr gibt es kein Rezept, denn sie entwickelt sich im Kollektiv-Unbewussten der Organisation. Hat sie sich erst formiert helfen nur der Ausstieg aus dem Projektablauf und eine Reflexion der Gesamtsituation“ (S.3). Da sich Systemabwehr bei der Umstellung kaum verhindern lässt, ist es umso wichtiger von vornherein mit ihr umgehen zu lernen, sodass sie sich gar nicht erst formieren kann.
Mit der Einführung von Projektmanagement wird immer auch die Entwicklung eines Organisationsbewusstsein angeregt. Dieses ist für gelingendes Projektmanagement unerlässlich. Organisationsbewusstsein wird als prozessbegleitende Selbstreflexion definiert, mit der der Systemabwehr konstruktiv begegnet werden kann und durch das auch die Organisationsentwicklung vorangetrieben wird. Die Organisation kann dabei in Projektteams sich selbst, ihren Sinn und ihre Projekte in Frage stellen und erlangt dadurch Selbststeuerungskompetenzen, die sie vorher hauptsächlich vom Chef vermittelt bekommen hat.
Entscheidend im gesamten Prozess des Projektmanagement sind die Sozial- und Organisationsdynamiken. Dabei sei besonders auf ihre unterschiedlichen Logiken verwiesen. Die Organisation ist in ihrer Logik zumeist auf ein von der Umwelt vermitteltes Ziel ausgerichtet, für welches sie Ressourcen bündelt und Aufgaben innerhalb der Organisation aufteilt. Herausforderung der Organisation ist es dabei die einzelnen Teile stets auf das übergeordnete Ziel auszurichten. Dies tut sie mit organisationseigenen Strukturen, aus denen sich dann in der Umsetzung eine Dynamik ergibt. Mit einer hierarchischen Organisationsstruktur wird dieses Ziel zum Beispiel von Top-Down vermittelt. Sobald allerdings einzelne Teile der Organisation oder die gesamte Organisation projektbezogen zu arbeiten beginnt, fängt der projektbezogene Organisationsteil an, sich selbst und seine Aufgaben zu reflektieren. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Ziele der Projektteams von den Zielen der Organisation abweichen. Die Teams, die sich selbst reflektieren, haben die Tendenz einen eigenen Selbstzweck zu etablieren. Hier erstreckt sich die Paradoxie, zwischen Organisation und Team. Teams brauchen genau diese Selbstreflexion um selbstgesteuert Entscheidungen treffen zu können, entwickeln dabei jedoch gleichzeitig ihren eigenen Sinn, der mitunter von den organisationalen Zielen abweichen kann. Entsprechend müssen Organisation und Projektteam ständig neu in Beziehung treten. Dass es dabei keine festen Prinzipien gibt, sondern immer neue Komplexitätsbewältigung stattfindet, stellt die Herausforderung für heutige Organisationen dar. Allerdings können sie somit auch einer immer komplexer und uneindeutiger werdenden Umwelt entsprechen. Ebendies stellt auch das Potenzial des Projektmanagements dar, welches es der Organisation ermöglicht, in einer immer komplexeren Welt handlungsfähig zu bleiben.
Wem an einem tieferen Verständnis zum Thema Projektmanagement, Agilität und „New Work“ gelegen ist, dem sei das Buch „Projektmanagement“ sehr ans Herz gelegt. Es hält nicht nur seine hohen Ansprüche kein Kochbuch zu sein, sondern regt zum Nachdenken und Reflektieren über die eigene Organisation an. Dabei werden wesentlichen Faktoren, die es für ein gelingendes Projektmanagement braucht, in einer verständlichen und gut lesbaren Sprache herausgearbeitet und selbst komplexe Organisationslogiken auf ihre fundamentalen Bestandteile herunter gebrochen. Viel Spaß beim Lesen.