Obwohl wir sie uns alle wahrscheinlich wünschen, ist psychologische Sicherheit im Team ein ungemein schwierig fassbares und damit auch schwer veränderbares Konzept. LEA Berater Aaron Scheer geht diesem Phänomen mit Tim Szczygielski auf den Grund. Tim forscht am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung zu Gruppendynamik und psychologischer Sicherheit in Ad-hoc-Teams und setzt sich dafür ein, dass Teams und deren Führungskräfte ein Klima der psychologischen Sicherheit entwickeln können.
Dazu bringt er nicht nur einen Seminarvorschlag, sondern aktuelle Erkenntnisse aus seiner eigenen wissenschaftlichen Forschung und Praxis mit.
Aaron: Lieber Tim, wir wollten uns heute darüber unterhalten, wie und warum psychologische Sicherheit ein spannendes und wichtiges Konzept für Organisationen und besonders Teamprozesse ist. Meine erste Frage ist da einfach einmal: Könntest du uns ein bisschen etwas zu diesem Konzept „Psychologische Sicherheit“ erzählen?
Tim: Klar. Wenn Teams miteinander arbeiten, kommt es mitunter zu unsicheren, komplexen oder auch herausfordernden Situationen und da ist es wichtig, dass Teammitglieder sich mit ihrem Wissen einbringen können, im Zweifelsfall auch noch nicht ausgearbeitete Ideen präsentieren und vor allem offen über Fehler sprechen können. Das dies gelingt hängt dabei unter anderem oder besser gesagt vor allen Dingen von einem Klima, bzw. einer geteilten Wahrnehmung von psychologischer Sicherheit ab. Psychologische Sicherheit wird im Wesentlichen beschrieben, wenn man sagt, dass es die Angst vor professionellen oder sozialen Konsequenzen reduziert. Das heißt umgekehrt es lohnt sich, bzw. Teammitglieder erleben es, als weniger gefährlich interpersonellen Risiken einzugehen. Und das ist, egal welche Form von Teamentwicklung man macht, eines der Schlüsselkonzepte für gute Zusammenarbeit.
Aaron: Könnte man dann auch meinen, dass das auf einer individuellen Ebene eine Kompetenz ist? Sozusagen, dass es Menschen gibt, die sich mehr Unsicherheit trauen?
Tim: Obwohl das Konstrukt in seinem Ursprung ein individuelles war, sollte es nicht als solches verstanden werden. Es ist eben ein Klima und kein Zustand. Auf der klimatischen Ebene, also auf der Gruppenebene, ist psychologische Sicherheit etwas, dass das Team als Ganzes auszeichnet und damit wirkt es über das Individuum hinaus. Und das ist das Spannende, weil dann hat man ein bisschen mehr Gewissheit darüber, dass sich diese Sicherheit fortsetzt und nicht nur von der Stimmungslage oder Zustand des Einzelnen abhängt. Wir kennen es: Mal hat man einen Tag, da kann man super über schwierige Themen oder über seine Fehler reden. Und an anderen Tagen geht es überhaupt nicht. Im Unterschied zu individuellen Stimmungen ändert sich ein Klima nicht so schnell – es braucht Zeit, bis sich das ändert. Und so braucht es eben auch Zeit, psychologische Sicherheit in Teams überhaupt zu entwickeln.
Aaron: Um das etwas bildhafter zu machen: es kann zur gleichen Zeit ja auch Kontexte bei Individuen geben, in denen es ganz unterschiedlich ist: ich denke zum Beispiel an wohlwollende Familienkontexte, wo wir alle die Assoziation haben, hier kann ich „Ich“ sein, hier kann ich meine Gefühle zum Ausdruck bringen. Und dann kann diese selbe Person in eine etwas toxische Arbeitskultur kommen, wo halt niemand was sagt – und wenn man was sagt, kriegt man einen drauf. Schon ist da diese Person mit dem Kompetenzpotenzial, das in der Gruppe entweder gehoben oder versenkt wird.
Tim: Ja, damit hast du jetzt eigentlich auch schon einen der Faktoren genannt, wie man psychologische Sicherheit auf jeden Fall ziemlich gut verhindern kann, indem man nämlich als Führungskraft oder auch als Mitarbeiter einfach Ideen oder Vorschläge von vornherein direkt abwürgt oder negativ verurteilt. Auf der anderen Seite ist ein Klima der psychologischen Sicherheit auch kein Wohlfühlklima in dem Sinne, dass Teams, die über ein solches Klima verfügen auch offen über unangenehme Themen wie z.B. Fehler oder aber auch Grenzen sprechen. Nur halt in einem konstruktiven Sinne, also es geht bei den Gesprächen mehr darum, dass man aus dem Fehler lernen kann und eine Arbeitssituation schafft, die der Leistung des Teams dient.
Aaron: Und wie baue ich das auf? Du hast gerade gesagt, das ist nicht nur ein Wohlfühlklima und ich glaube, das ist das, was wirklich schwierig zu akzeptieren ist, weil auch dieses Konzept sehr leicht missverstanden wird als ein „Wenn wir alle lieb zueinander sind, dann fühlen wir uns psychologisch sicher.“.
Tim: Das ist eine unheimlich relevante Frage, die auch in der Forschung bisher nur wenig adressiert wurde. In der Management- und Beratungsliteratur gibt es zwar schon einiges an Tipps und Anleitungen, wie das denn alles gehen könnte, aber empirisch nachgewiesen sind die meisten nicht. Auch wenn es sehr vernünftig klingt, was dort steht. Wir können also aktuell auf Basis der Forschung leider nicht sagen, das ist es jetzt oder das hilft.
Aaron: Und da zeigt sich halt einfach, warum psychologische Sicherheit für viele sicher ein unattraktives Konzept ist – diese wahnsinnige Komplexität von dem, was klar für uns aus einer gruppendynamischen Perspektive ist, ist, dass es kein kausaler Zusammenhang ist. Wie gut muss ich es denn verstehen, um es einführen zu können?
Tim: Ich glaube verstehen ist schon wichtig, weil man kann – wie wir vorher auch schon festgestellt haben – auch Dinge falsch machen. Ich denke psychologische Sicherheit passt aber genau deshalb so gut in die jetzige Zeit, weil es nicht darum geht ein simples Kausalverständnis zu etablieren, sondern wir brauchen ein ganz sensibles Spiel aus verschiedenen Faktoren. Und da sind wir im Prinzip auch schon bei der Gruppendynamik, weil es ja darum geht, eine neue Kompetenz oder Fähigkeit zu erlernen, die sich nicht über ein Zeugnis oder über eine Wissensabfrage ausdrücken lässt, sondern die eher feinfühliger ist, wo wir eher kontextsensibel schauen muss, dass man da gut miteinander agieren kann.
Aaron: Und diese Momente gibt es ja auch immer wieder, wo sich Leute irgendwie ernst genommen, sicher, zugehört fühlen und einfach mal zusammenkommen, interagieren, mit der Frage: Wie geht es uns eigentlich? Ist das dann auch das, wie ich psychologische Sicherheit herstellen kann? Also wäre das die verkürzte Antwort: einfach mal fragen, wie geht es Menschen im Miteinander?
Tim: Ja – man muss sich aber auch nicht immer fragen, wie geht es dir. Nehmen wir mal an, wir entwickeln eine neue Software zum Beispiel, dann kann man auch fragen, was denkst du, wie können wir es besser machen? Wo siehst du Probleme? Dabei gilt, was wir auch in der Gruppendynamik immer sagen: Wer die Beziehungsebene verstanden hat, für den ist die Sachebene kein Problem mehr. Aber wer kann das schon aus dem ‘F‘ ‚F‘? Da lohnen sich dann, die von unserem Fachverband immer wieder angebotenen gruppendynamischen Trainingsgruppen zum Thema. Auch wenn man vielleicht noch nicht genau weiß, was da am Ende rauskommt lohnt es sich, weil man dort eben an dieser Sozialebene die eigene Toleranzschwelle ein bisschen nach oben setzt und einfach mal ein bisschen ausprobieren kann, wie kann ich das machen, wie kann ich wirken, wie kann ich zu den klimatischen Bedingungen hier beitragen. Und dann kommt dieses Gefühl von, da hat sich etwas verändert von allen zur gleichen Zeit.
Aaron: Um das noch mit einem Bild abzuschließen, psychologische Sicherheit ist etwas, was sich vorsichtig entwickelt. Das ist nicht etwas, was mit einem Schlag oder mit irgendeiner Form von Aggression herstellbar ist. Und dieses Vorsichtige löst in mir so ein Bild von ‚Tapseln‘ aus, vorsichtig Herumtapsen. Und irgendwann entwickelt sich dieses ‚Tapseln‘ zum Tanzen und wird so richtig schön. Und Tanzen ist auch etwas, das machen wir, wenn wir uns frei und gut fühlen und nicht beobachtet und bewertet. Dann macht es auch jeder ein bisschen anders, aber alle mit einem wohlig aufgehobenen Gefühl. Dieses Tapseln lernt man am besten im Tanzkurs bzw. der Trainingsgruppe, also im Sicheren. Man muss erst mal ‚Tapseln‘, um zum Tanzen zu kommen. Danke dir für deine Zeit und das schöne Gespräch.
Tim: Dankeschön.