Neulich berichtete mir eine Coachee von ihrer neuen Führungskraft, die gerade in der Organisation gestartet war und als erstes alle ihre neuen MitarbeiterInnen zum Rapport bestellte und eine so genannte Profilpräsentation einforderte: die MitarbeiterInnen – teilweise selbst Führungskräfte von Teams – sollten präsentieren, was ihre jeweiligen Stärken und Entwicklungsfelder und ihre bisherigen größten Erfolge sind. Nun bemüht man sich als Berater, die Beobachtungen, die man so macht, von den Erklärungen und vor allem von den Bewertungen zu trennen. Wenn ich also erst einmal überlege, wie ich mir das erkläre, dann kann eine mögliche Antwort sein, dass es dieser Führungskraft ein Anliegen war, die neue Mannschaft kennenzulernen und sich einen Überblick zu verschaffen, wer wo in seiner Entwicklung steht und was ins Team einbringen kann. Diese Intention ist ja erstmal positiv; und gleichzeitig ist gut gemeint nicht immer gut gemacht. Wenn ich nämlich reflektiere, wie die Person, die mir hiervon berichtete, die Situation bewertete , dann war dies keinesfalls positiv. Das, was ankam, war Misstrauen und Abwertung – kein hilfreicher Start in die Beziehung zwischen neuer Führungskraft und Team (kollektiv geschaut) und den einzelnen MitarbeiterInnen (individuell betrachtet). Und das, wo durch den nach wie vor zunehmenden Grad an Komplexität in Organisationen, durch Remote-Teams, die mehr und mehr an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten miteinander arbeiten sollen, die wirksame Gestaltung von Arbeitsbeziehungen doch immer wichtiger wird. Wenn zwischenmenschliche Beziehung im Allgemeinen und die (noch verantwortungsbeladenere) Beziehung einer Führungskraft zu ihren Mitarbeitern im Besonderen wirksam sein soll, braucht es ein gestärktes Bewusstsein für das, was ich mit meiner Kommunikation, mit meinem Verhalten, mit der Art und Weise meiner Beziehungsgestaltung erzeuge. Im genannten Fall war dies – mindestens bei der Person, die mir das berichtete – Frustration, Irritation und auch ein wenig Angst; denn durch das Verhalten entsteht bei uns ein Bild davon, wie diese Person wohl ist. Und der gute alte Satz, dass man keine zweite Chance für einen ersten Eindruck bekommt, gilt ja nach wie vor. Was haben wir also im Coaching mit der Situation gemacht, um die Aufmerksamkeit auf bewusste Beziehungsgestaltung zu lenken – wissend, dass wir nur an einem Ende dieser spezifischen Beziehung direkt haben arbeiten können?
Zunächst einmal hat sich durch die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf die Beziehungsgestaltung schon einmal die Bedeutung verändert, die meine Coachee der bewussten Gestaltung von Beziehungen gegeben hat. Außerdem haben wir besprochen, welche Art von Beziehung sie hier idealerweise aufbauen möchte, wie diese charakterisiert sein soll und was auf der Verhaltensebene (faktisch: auf der Ebene des Verhaltens der Coachee) konkret nützlich wäre, um dies bestmöglich zu erreichen. Und darüber hinaus haben wir uns mit der Frage der (gegenseitigen) Erwartungen an die unterschiedlichen Rollen/Rollenaspekte der handelnden Personen beschäftigt und damit, wie klar und ausgesprochen diese sind und wo hier noch Klärungsbedarf sein könnte. Daraus entstand ein Plan zur aktiven Beziehungsgestaltung sowie die innere Haltung, mittels Reflexion und Feedback bewusst mit dem umzugehen, was im Verlaufe des Beziehungsaufbaus so passiert und wahrgenommen wird.
Wie erleben Sie das als Führungskräfte? Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Beziehungsaufbau gemacht – was haben Sie als hilfreich erlebt, und was war weniger nützlich? Wir von LEA freuen uns auf den Austausch mit Ihnen zu diesem Thema! Wer noch tiefer einsteigen möchte, dem sei Edgar Scheins Buch „Humble Consulting – die Kunst des vorurteilslosen Beratens“ ans Herz gelegt. Weniger, weil es dort um Beratung geht, sondern vielmehr, weil Schein in den Fokus des Lesers rückt, welchen Unterschied es macht, wenn wir in der Kommunikation auch mitdenken, was durch die Kommunikation im Gegenüber ausgelöst wird und wie das die Beziehungsebene beeinflusst.