Das „(WH)Y“ meiner Generation – die Sinnfrage in der Arbeit – scheint nicht mehr wegzudenken zu sein. Und doch gilt sie oft bei den älteren Generationen verschrien als Luxusproblem, Flausen oder Verweichlichung. Längst geht es aber nicht nur um die individuelle Sinnsuche der heutigen 29- bis 40-jährigen (der sogenannten Generation Y) in der Arbeitswelt. Längst ist die Frage nach dem eigenen Sinn und Zweck in Unternehmen selbst angekommen.
Unternehmen bieten ihren Führungskräften z.B. Purpose Coachings an, wo es nicht nur um den individuell erlebten Sinn geht, sondern vielmehr um die Frage nach Sinnstiftung in der Rolle und Aufgabe von Führung im Unternehmen. Führungskräfte berichten oft nach diesem Coachingverfahren, dass sie mit einer anderen Haltung – einer größeren Zielgerichtetheit und Rollenklarheit – an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Sinnstiftend seine Rolle im Unternehmen zu begreifen; mit mehr Klarheit und Fokussierung seinen Führungsaufgaben nachzukommen, ist nachgewiesener Maßen förderlich für den wirtschaftlichen Erfolg. Das soll also reiner Luxus sein? Wie interessant!
Neuere Ansätze von Organisationsentwicklung gehen sogar noch weiter: Sie richten das gesamte Handeln einer Organisation an dem Unternehmenssinn aus. Purpose Driven Organizations (Fink & Möller, 2018) setzen sich mit Fragen auseinander wie „Was sind wir im Kern? Welchen Zweck erfüllen wir als Unternehmen für unsere Umwelt? Wie müssen wir dann unsere Unternehmensstrategie, unsere Strukturen, Prozesse, unser Führungsverständnis etc. anpassen? Die Auseinandersetzung mit dem unternehmenseigenen Zweck ist keine Beschäftigungstherapie für Unternehmen oder der neue Verkaufsschlager der agilen Beratungspraxis, sondern verfolgt aus meiner Erfahrung in der Begleitung von Purpose-Prozessen handfeste Ziele: Erstens, wenn ich als Unternehmen verstanden habe, wofür es mich gibt, wofür es mich konkret braucht – neben meinen Mitbewerbern, die ähnliche Produkte, ähnliche Anreizsysteme, ähnliche Zukunftsmärkte, ähnliche gesellschaftliche Funktionen abbilden – dann kann ich mich plötzlich ganz anders positionieren, weiterentwickeln oder gar transformieren. Zweitens, wenn ich als Mitarbeiter oder Führungskraft verstehe, wofür es sich lohnt, jeden Morgen zur Arbeit zu gehen, dann steigert das meine intrinsische Motivation für meine Aufgabe im Unternehmen und fördert mein persönliches Commitment für die Unternehmensziele. Wer in Unternehmen arbeitet, Unternehmen begleitet oder in Unternehmen reinkommt, die den eigenen Purpose gefunden haben, spürt das. Dabei sind es nicht die großen lauten Fakten: gute Verkaufszahlen, fetzige Marketingsprüche und Slogan, sondern vor allem die Haltung, wie Mitarbeiter ihre Aufgabe verrichten, wie in Teams jenseits von Silodenken gearbeitet wird und wie das Management das Unternehmen ins Big Picture einbezieht und mitgestalten lässt. Neben der Haltung kann man noch etwas anderes beobachten: eine gute geölte interne Wertschöpfungskette, wo jedes Glied (Prozesse, Strukturen, Personalentwicklung, Führung) an dem „Wofür“ ausgerichtet wird.
Natürlich ist Purpose nicht aller Rätsel Lösung. Dafür sind Unternehmen als selbstorganisierte Systeme zu komplex und reagieren nicht linear. Und vermutlich kennen wir alle Unternehmen oder Unternehmenseinheiten, die sich eingängig mit ihrem Sinn und Zweck auseinandergesetzt haben, beinahe tiefenanalytisch sich mit sich selbst beschäftigt haben – auf der Suche nach dem Kern – und es dann nicht auf die Straße bringen konnten. Purpose-Arbeit ist kein Selbstzweck, sondern es macht – aus meiner Sicht auf Unternehmen – nur Sinn, wenn der eigene Unternehmenszweck die Kundenbedürfnisse (intern sowie extern) beantwortet und man anhand dieser Bedürfnisse die Unternehmensstrukturen, die wirtschaftlichen Ziele, die Prozesse im Team, die Art und Weise von Führung gestaltet. Ein weiterer Hinweis in der Arbeit mit Purpose ist die Frage der Statik vs. Dynamik. Der Unternehmenszweck ist natürlich kein Fähnchen im Wind, was sich heute oder morgen je nach Marktsituation ändert. Gleichzeitig ist er nicht für immer festgeschrieben, sondern kann sich entlang der wirtschaftlichen Entwicklungen und Veränderungen des Unternehmens verändern. Deswegen gilt auch hier die kontinuierliche Selbstbeobachtung: Passt unser WHY noch zu unseren Kundenbedürfnissen und den aktuellen Veränderungen im Markt und Wettbewerb? Oder wie müssen wir uns als Unternehmen organisieren, damit das WHY wieder die Kundenbedürfnisse bedient?
Noch einen letzten Punkt möchte ich in das Themenfeld „sinngetrieben arbeiten“ mit aufnehmen: die Frage des bewussten Wirtschaftens. Denn Unternehmen und wir, die sie begleiten, sind bereits heute mit der Frage konfrontiert: In welcher Weise wollen wir weiter Wirtschaft betreiben? Wofür wirtschaften wir in Zukunft? Diese neue Sinnorientierung des Wirtschaftens wird verstärkt unsere Betrachtung von Unternehmen und unser unternehmerisches Handeln beeinflussen. Denn das „WHY“ unseres Wirtschaftens ist in Zeiten des drohenden Klimawandels meiner Ansicht nach keine Luxusfrage mehr – sondern eine Überlebensfrage.