Drei Leitsätze zum Anfang:
1. Wenn sich Organisationen verändern wollen, müssen sie einen Moment der Unsicherheit zulassen können.
2. Viele Daten sind hilfreich, aber es kommt auf die daraus abgeleiteten Informationen an.
3. Bei der Generierung von Informationen kommt es auf die Ortskenntnis Ihrer ganz eigenen Organisation an – es gibt kein Patentrezept für alle.
Unter dem Titel „In welcher Gesellschaft beraten wir?“ fand am 23. November 2018 in Berlin die dritte systemtheoretische Tagung statt, an der wir mit vier LEA Teammitglie-dern teilgenommen haben (Geschäftsführerin Christina Grubendorfer, Leonie von Uth-mann, Tim Szczygielski, Claudia Salowski). Insgesamt waren Teilnehmer aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengekommen, um sowohl die Beiträge der renommierten Soziologen Prof. Dr. Armin Nassehi, Prof Dr. Christina Besio und Prof. Dr. Hendrik Vollmer zu hören, als auch selbst ins Gespräch zu kommen. Also eine vielversprechende Möglichkeit für uns, unseren Horizont für unsere Kunden zu erweitern.
Eine Gesellschaft in Zeiten der Digitalisierung generiert immer mehr Daten. Aber:
Was kann Beratung in diesem Kontext leisten?
Wie gehen Organisationen damit um?
Wie selektieren Organisationen zwischen relevanten und unrelevanten Daten?
Welchen Wert haben die Informationen, die aus den Daten abgeleitet wurden?
Prof. Dr. Nassehi gestaltete den Auftakt der Vorträge und führte uns auf eine soziologi-sche Reise der Beratung, der Organisationen und der Gesellschaft. Organisationen erhalten die Stabilität und reduzieren Unsicherheit innerhalb der Gesellschaft, indem sie Strukturen ausbilden, die sich immer in Regelkreisläufen wiederholen. Dabei werden aus Daten Informationen generiert, die der Organisation helfen Entscheidungen zu produzieren. Wenn sich nun aber eine Struktur aus unterschiedlichsten Gründen als nicht mehr entscheidungsfähig herausstellt, steht die Organisation vor der Wahl:
Entweder sie muss sich neu organisieren oder sie löst sich auf.
Wie gestaltet sich diese Reorganisation von Strukturen?
Damit dies gelingt ist nach Nassehi ein Moment der Unsicherheit von Nöten, der alte Strukturen aufbricht und es ermöglicht neue zu etablieren. Hier kommt Beratung ins Spiel. Beratung steht vor der Herausforderung, Organisationen so zu verunsichern, dass diese sich neu strukturieren können. Das klingt schräg? Gerade in einer Gesellschaft, die durch immer mehr Unterschiedlichkeit doch auf feste Strukturen angewiesen ist, um nicht auseinander zu fallen? Um den letzten Satz noch ein wenig zu erläutern: Nach Nassehi war Gesellschaft noch nie so ausdifferenziert wie heute. Fast jeder Individualität kann ein Platz eingeräumt werden, ohne dass Gesellschaft daran auseinanderbricht. Das ist eine Leistung, die nicht selbstverständlich ist. Dazu tragen Organisationen einen wesentlichen Teil bei. Sie geben durch ihre Strukturen die Stabilität, die es braucht, um Unterschiede aushalten zu können. Je mehr Stabilität Organisationen allerdings generieren müssen, umso schwerer wird es für sie, sich selbst zu verändern. Gerade Organisationen mit einer langen Geschichte, tun sich unheimlich schwer damit auf die derzeitige gesellschaftliche Entwicklung einzugehen. Dabei sind gerade sie es, die diese Entwicklung erst ermöglicht haben. In diesem Widerspruch, zwischen sich Anpassen und Sicherheit gewährleisten, lassen sie sich nun beraten. Ohne dass sie das wohl selbst so formulieren würden. Und wir als Berater stehen vor der Herausforderung ihnen zu helfen, sich innerhalb dieses Widerspruchs neu zu entscheiden.
Aber wie genau entscheidet man das Unentscheidbare? Welche Daten berücksichtigt man bei der Entscheidung? Welche Entscheidungsprozesse können genutzt werden?
Zunächst einmal müssen aus den Daten, die relevanten Informationen selektiert werden. Frau Prof. Dr. Besio griff in Ihrem Vortrag Algorithmen als eine Möglichkeit auf, die Flut aus Daten zu verarbeiten und dadurch Entscheidungsprozesse in Organisationen zu erleichtern. Algorithmen können helfen, große Mengen an Daten zu selektieren und daraus Informationen zu gewinnen, die entscheidungsrelevant sind. Dabei folgen sie allerdings vorprogrammierten Regeln, die nicht immer nützlich sind. Denn der Algorithmus kann den Kontext der Daten nicht mit einbeziehen, der zunehmend relevant für die abgeleiteten Informationen ist.
In einem dritten Impuls wies Prof. Dr. Hendrick Vollmer passend auf den Wert solcher kontextsensitiven Information hin und wie diese in Organisationen produziert werden. Für Vollmer stellt die Ortskenntnis in einer Organisation nach wie vor das entscheidende Kriterium dar, um aus den Daten entscheidungsförderliche und kontextual passende Informationen zu generieren. Der Begriff Ortskenntnis geht dabei über die Daten hinaus und bezieht auch kulturelle, intuitive und menschliche Faktoren mit ein. Entscheidend für Organisationen ist die sensible und kontextuelle Interpretation von Informationen.
Im Anschluss an diese drei hochspannenden und dichten Vorträge kamen wir mit den anderen Teilnehmern ins Gespräch und teilten uns angeregt über die gehörten Inhalte aus. Dabei konnten individuelle Fragen klärten und weiterführende entwickelt werden. Diesen Fragen stellten sich die Soziologen dann in einer Art Fish bowl, bei der die Referenten miteinander diskutierten und dabei immer wieder von Teilnehmern mit Fragen angeregt wurden.
Alles in allem war es ein sehr ereignisreicher Tag, an dem wir viele Eindrücke zum Nachdenken mitgenommen haben. Dabei fühlen wir uns in unserem LEA Ansatz bestätigt, dass es bei Beratung Zusehens darauf ankommt, die richtigen Fragen zu stellen, statt eine vorgefertigte Lösung zu präsentieren. So wollen wir Organisationen durch unseren externen Blick helfen, ihre Strukturen zu verstehen und diese an neue Anforderungen von außen anpassen zu können – und aus der Menge von Daten, die jeweils für sie relevanten Informationen abzuleiten. Dabei sind wir natürlich auch für Sie da.
Abschließend bedanken wir uns ganz herzlich für die vielen anregenden Impulse, die durch die systemtheoretische Tagung bei uns entstanden sind und freuen uns auf die Nächste.