Viel mehr als Spielzeug – Transformation, Leadership und Innovation bei myToys

Im Gespräch mit LEA verrät Jörg Engelhardt, Leiter Personal und Organisation der MYTOYS GROUP, wie das Unternehmen den vielfältigen Herausforderungen rund um Organisationsveränderung, Führungskräfteentwicklung und agilen Arbeitsansätzen begegnet.

 

LEA: Was habt ihr während deiner Zeit bei myToys unternommen um die Organisation zukunftsfähig zu machen?

Jörg Engelhardt (JE): Zwischen 2013 und Ende 2014 ist myToys um das Dreifache gewachsen, was damals vor allem dem Multishop-Ansatz geschuldet war. Mehr Mode, neue Marken, eigene Logistik und minimaler Aufwand für den Kunden waren damals die Basisgedanken. Hinzu kam, dass wir seit 2013 pro Jahr deutschlandweit bis zu -zwei neue Filialen eröffnen. Insgesamt haben wir damit geschäftsseitig zweistellige Wachstumsraten gestemmt, die uns gleichzeitig die Notwendigkeit aufgezeigt haben, agil, schnell und wandlungsfähig zu sein.

Mittlerweile lösen wir uns wieder etwas von diesem Ansatz und müssen aktuell vor allem Prozesse und Professionalisierung nachziehen, um – wie schon im Geschäftsjahr 2017/2018 – weiterhin profitabel zu werden und für den nächsten Wachstumsschub bereit zu sein.

LEA: War diese Veränderung des geschäftlichen Fokus zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit denn zwingend erforderlich?

JE: Natürlich ist myToys nach wie vor unser Kerngeschäft und unsere stärkste Marke, nicht ohne Grund haben wir den Namen auch für den Multishop-Ansatz übernommen. Gleichzeitig haben Spielwaren an sich eine sehr geringe Marge. Das heißt, wenn man damit Geld verdienen will, muss man lernen, vor allem die Themen Logistik und Overhead optimal auszusteuern. Zum Beispiel können wir das mittlerweile über unsere eigene Logistik abbilden.

Neben vielen Vorteilen kommt mit der eigenen Logistik aber auch die wirtschaftliche Notwendigkeit, diesen Bereich das ganze Jahr über auszulasten, nicht nur an Weihnachten und Ostern. Und für unterjährige Auslastungen arbeiten wir stetig daran, den Lebenszyklus unserer Kunden zu verlängern und gleichzeitig Komplementärkäufe anzureizen. Daher waren dann der Kauf von mirapodo oder auch limango strategisch naheliegende Entscheidungen.

LEA: Welche Auswirkungen hatten diese Veränderungen auf myToys?

JE: Anorganisches wie auch organisches Wachstum in der Größenordnung von 15 bis 25% pro Jahr macht natürlich etwas mit einem recht jungen Unternehmen von damals gerade 12 Jahren. Plötzlich werden neue Gesellschaften integriert. Dann kommt eine Matrixorganisation hinzu, die eigene Logistik wird aufgebaut; in der damals noch von einem reifen Startup-Mindset durchdrungenen myToys.de GmbH hat das an einigen Ecken natürlich auch geknackt.

Das fängt bei Themen wie Professionalisierung, Prozessen und Führungsstrukturen an. Besonders letzteres hat uns damals nachhaltig beschäftigt, weil wir bemerkt haben, dass wir einige Führungskräfte stark gefordert bzw. auch überfordert haben. Andererseits gab es auch Führungskräfte, die sich auf diesem Wachstumspfad mit mehr Struktur schlicht und einfach nicht selbst gesehen haben.

Das hat natürlich Renovierungsarbeiten an Kernelementen der Organisation erfordert, wie zum Beispiel Führungs-, Prozess und Professionalisierungsstrukturen.

Deswegen haben wir uns schon 2013 strategisch mit unserer Employee Value Proposition beschäftigt, um zu definieren: Was ist unsere Arbeitgebermarke? Was ist unsere Arbeitgeberpositionierung? Das hat uns wiederum geholfen, unsere Stärken und Entwicklungspotentiale abzuleiten und von einem sehr reaktiv und verwaltungsorientierten HR-Team mit fünf Angestellten in 2013 zu einer 38-Personen starken, proaktiven, nutzer- und markenorientierten Abteilung in 2018 zu wachsen, die sich um mehr als 2000 Mitarbeiter in mehreren Gesellschaften und Standorten, wie Berlin, Madrid und Moskau, kümmert.

LEA: Gab es Aspekte in dieser Transformation die in Deiner Wahrnehmung nicht so gut funktioniert haben?

JE: Wir haben 2013 sehr stark in die Organisation gehorcht und mit Teams von Organisationsentwicklern und sogenannten „Trüffelgruppen“ – also gemischten Gruppen aus neuen Mitarbeitern und Führungskräften – analysiert, was läuft, was läuft nicht, wie werden wir wahrgenommen als Arbeitgeber – unsere Stärken und Schwächen. Das Thema Führung war eine der größten Schwächen, die wir damals wahrgenommen haben, auch und besonders aufgrund der erhöhten neuen Anforderungen an die Führungsebene.

Wir konnten dies nicht vollumfänglich aus internen Ressourcen heraus entwickeln. Daher haben wir letztlich bis auf drei Köpfe die Ebene unterhalb der Geschäftsführung komplett gedreht und ausgetauscht; damit ging dann das volle Programm einher: Entwicklung von Führungsleitbildern, ein Kompetenzmodell, aufgesetzt darauf eine Potenzialdiagnostik, um herauszufinden, welche Führungskräfte in die myToys Passung passen, etc.

LEA: Du hast diese Veränderungen in den vergangenen Jahren eng begleitet. Hat Dich irgendwas stark überrascht?

JE: Mich hat sehr vieles überrascht, aber das was bis heute noch sehr klar hängengeblieben ist: wie oft und wie viel man kommunizieren muss, bis etwas wirklich richtig ankommt und wie viel mehr man an Beteiligung braucht, um eine nachhaltige, starke Identifikation mit einer Transformation zu erreichen.

Wir haben grundsätzlich eine sehr aufnahmefähige Organisation, was Neuerungen und Innovation angeht, aber sobald es an die eigenen Komfortzonen geht, haben auch wir Widerstände bemerkt, die ich so selbst nicht erwartet hätte. Hier haben wir dann die Durchdringung und Frequenz der Beteiligung und Kommnunikation deutlich erhöht sowie neue Formate wie „Lunch & Learn“, „all heads“ und „all hands“ Meetings entwickelt, um bestimmte Themen besser zu transportieren und mehr Menschen zu erreichen.

LEA: Wie müssen Arbeitsmodelle aussehen damit die Organisation zukunftsfähig und attraktiv sein kann? Wie sehr ist der agile Gedanke dabei hilfreich bzw. hinderlich?

JE: Wir experimentieren seit 2013 mit agilen Methoden im Projektmanagement, IT sowie anderen Stellen und haben mittlerweile gelernt, dass Agilität hinderlich und hilfreich zugleich sein kann. Ohne die Vorteile von Kanban, Scrum und sonstigen Dingen kleinreden zu wollen, war es bei uns beispielsweise so, dass die Anwendung der reinen Scrum-Lehre bei den beteiligten Mitarbeitern das Gefühl auslöste, dass sie als Individuum nicht mehr so viel zählen. Da kamen einfach Fragen auf wie: „Wer hört mir zu mit meinem Problem? Wer kümmert sich um meine Weiterentwicklung?“

Da haben wir gemerkt, dass die Organisation und beteiligte agile Teammitglieder eine sehr hohe Reife an Eigenverantwortung, vernetztem und übergreifendem Denken benötigen, was auch wir nicht überall haben und daher speziell mit „Agile Coaches“ begleiten.

Die in der reinen agilen Führungslehre gemachten negativen Erfahrungen nutzten wir, um klassische Elemente einer Führungsorganisation wieder zu integrieren und so eine hybride Logik zu erschaffen.

In dieser hybriden Logik haben wir uns immer weiter professionalisiert. Wir wollen Mitarbeiter und Führungskräfte gleichermaßen ermutigen und inspirieren und dadurch intrinsisch motivierte agile Teams fördern, die sich dann in eine Bewegung verwandeln können.

LEA: Wie macht Ihr myToys zu einer starken Unternehmensmarke?

JE: Ich glaube wir haben ganz viele Stärken, sind bei den deutschen Digitalarbeitgebern der Zweitgrößte hinter zalando, nur leider weiß das keiner. Und wir machen aktuell zu wenig, um die Unternehmensmarke speziell weiter zu pushen. Beispielsweise verbinden die meisten Neuzugänge mit myToys Spielzeug. Dabei ist schon jetzt 60% unseres Sortiments modelastig und umfasst mehrere Marken und das sorgt bei Bewerbern erstmal für Verwirrung.

Hier wollen wir mit unserer MYTOYS GROUP Arbeitgeberpositionierung und Kampagnen eine Markenklammer bilden, die zum einen erklärt, wer wir sind, was wir machen und wo wir hinwollen. Gleichzeitig soll sie die Spezifika unserer Einzelmarken enthalten und erzählen können. Die 2013/2014 formulierte Positionierung war ein guter Anfang, die jetzt weiterhin angepasst und weiterentwickelt werden muss. Wir können und wollen es uns nicht leisten, bei dem Thema stehen zu bleiben.

LEA: Und wofür steht die Arbeitgebermarke myToys?

JE: Was uns sicherlich auszeichnet ist, dass man hier Mensch sein darf und das wollen wir auch ganz bewusst im Rahmen unserer Positionierung mitgeben.

Wir haben sehr wenig Unternehmenspolitik, hier zählt das beste Argument und nicht die Visitenkarte. Das mag wie ein Kampagnen-Spruch klingen, ist aber tatsächlich gelebter Alltag und das versuchen wir auch immer erlebbar zu machen.

Ich als Bereichsleiter merke es selbst; wenn mein Team mit den besseren Argumenten kommt, und ich mich da ohne Grund zwei, dreimal drüber hinwegsetzen würde, dann verliere ich deutlich an Akzeptanz.

Für uns ist es ein starkes Asset, wenn unsere Talente sagen können: „Vielleicht zahlen andere Unternehmen besser, aber bei myToys kann und soll ich so sein, wie ich bin. Ich kann meine Stärken ausspielen und meine Schwächen offen ansprechen und an ihnen arbeiten, ohne zerfleischt zu werden.“

Wir sind überzeugt, dass die die Summe und Effekte der richtigen Entscheidungen aller Mitarbeiter die Summe und Effekte der Fehler aus den Freiheitsräumen übersteigt. Diese Menschlichkeit, zusammen mit klarer Leistungsorientierung und konsequenter Professionalisierung sind die Eckpfeiler unserer Arbeitgebermarke.

LEA: Wen sucht myToys gerade konkret?

JE: Wir suchen gerade primär nach erfahrenen Top-Talenten am Markt, da wir im Junioren-Bereich generell schon stark aufgestellt sind. Unser Durchschnittsalter liegt bei 34, das ist recht jung. Unser Hochschulmarketing und Recruiting direkt von den Hochschulen funktioniert ebenfalls sehr gut.

Wir haben also eher die Herausforderung die Senior- und Top-Talente anzuziehen, weil die zum Teil unsere Stärken von außen nur schwer erkennen können. Denn unsere Stärken sind nun mal nicht, dass wir am besten bezahlen oder die stärkste Marke neben BMW und sonstigen haben, sondern unsere bereits erwähnte, offene Unternehmenskultur, sehr adaptionsfähige Organisation und Wandlungsfreude in der man sehr direkt Wirkung mit Veränderungen erzielen kann. Deswegen suchen wir die Kollegen, denen das ebenso wichtig ist.

In unserem Topmanagement haben wir zum Beispiel Leute, die vorher bei der Allianz AG, Lufthansa AG, Siemens AG oder sonstigen großen Playern in entsprechend guten Positionen erfolgreich waren. Die haben sich aber bewusst eine Company gesucht, in der sie das umsetzen können, was sie gelernt und an Expertise aufgebaut haben, ohne dass es in der Konzernpolitik untergeht.

Und dieses unpolitische, dieser Fokus auf die Sachebene und die überzeugenden Argumente – was ist das richtige für myToys? was bringt uns weiter? – der zeichnet uns aus und das versuchen wir uns mit dieser Kultur zu erhalten.

Gleichzeitig, gerade heraus: Was sind die richtigen Typen für myToys? In meinen Augen: data-driven und empathisch, durchsetzungsstark und charismatisch, leidenschaftlich und professionell. Gleichzeitig aktiv, zielorientiert sowie in der Lage mit Durchhaltevermögen dynamische Umfelder ertragen und gestalten zu können. Wer dieses Portfolio in einem gewissen Grad abbildet, ist hier sicher sehr gut aufgehoben.

LEA: Wie gestaltet Ihr inspirierende Führung und was heißt dabei Inspiration für Dich?

JE: Für mich hat Inspiration, viel mit Begeisterung zu tun. Und zwar die Art von Begeisterung, die kleine Kinder mit offenem Mund vor dem Weihnachtsbaum stehen lässt. Ich als Führungskraft wünsche mir oft, solche Momente zu erzeugen. Denn Führung ist einer der größten Hebel, um eine gute Kultur im Unternehmen zu erleben und zu entwickeln.

Und auch beim Thema Führung steckt der Aspekt Menschlichkeit sehr präsent drin; weswegen wir uns dem über kooperative Zugänge, Wertschätzung und Entscheidungsfreiheit nähern.

Um das sicherzustellen, schauen wir natürlich bereits bei der Einstellung von Führungskräften genau hin, dass sowohl fachliches Know-how als auch überfachliche Kompetenzen und Charisma präsent sind. Gleichzeitig sollen die Mitarbeiter die Möglichkeit bekommen, ihre Führungskraft konsequent bewerten zu können und anzusprechen, wenn sie sich vom myToys-Stil entfernt hat.

LEA: Welche Herausforderungen kommen auf myToys als Organisation in Eurem Markt zu?

JE: Auf uns sehe ich besonders zukommen, dass wir weiterhin schlank und sehr ertragsfokussiert sein müssen und sein werden. Das bedeutet, wir müssen unsere Prozesse noch mehr optimieren, noch mehr schlaue Köpfe haben, die auch die eine oder andere Komfortzone kritisch hinterfragen.

Gleichzeitig müssen wir diese Transformationen aber so gestalten, dass wir – wenn wir schon auf Sicht segeln – eben auch schnell wieder den Kurs ändern können. Hier liegt eine große Herausforderung, also einerseits Standardisierung, Technologisierung und Professionalisierung weiter auszuweiten und andererseits so flexibel zu sein, um auf neue Dinge am Markt entsprechend zu reagieren und an den richtigen Stellen Geld zu investieren.

LEA: Blick in die Zukunft: Wo wird myToys in 5 Jahren stehen?

JE: Rein auf die Company und den externen Markt gesehen: Wieder deutlich profitabel und in der Lage, in unserem Zielmarkt eine klare Führerschaft für Wachstums- und Trendthemen zu übernehmen, sowie durch den einen oder anderen Schritt, sich auch noch mal in Geschäfte hineinzuwagen, die sich schon jetzt anbieten und daraus Zusatzgeschäft mit höheren Margen zu holen.

Und mit Blick nach Innen: Auf unsere Mitarbeiter gesehen, leiten wir hoffentlich deutlich mehr aus analytischen Verfahren und aus Daten ab und haben es geschafft, weiterhin charismatisch den menschlich empathischen Faktor zu halten und Top-Talente aus verschiedensten Fachbereichen für uns zu begeistern. Wir wollen, wie schon heute, unseren Mitarbeitern ein Arbeitszuhause geben, in dem sie von intrinsischer Art überzeugt sind, alles zu geben und mitzureißen, was mitzureißen geht um gemeinsam erfolgreich zu sein.

LEA: Lieber Jörg, vielen Dank für dieses offene und ausführliche Gespräch!