Visionäres Arbeiten (3) – ein Realitätscheck

Wie realistisch ist resonantes Arbeiten in der Zukunft? Welchen Einfluss üben Digitalisie-rung, Globalisierung und Kommerzialisierung auf resonantes Arbeiten aus? Welche Rolle spielen die Trends der Arbeit im Kontext der resonanten Arbeit?
Meine These lautet das insbesondere Phänomene wie Digitalisierung, Globalisierung und Kommerzialisierung resonantes Arbeiten unwahrscheinlicher machen. Zur kurzen Wiederholung des resonanten Arbeitens:

Arbeit ist resonant, wenn sie den, der arbeitet berührt und selbstwirksam darauf reagieren lässt. In diesem Prozess wird sowohl der Arbeitende als auch der Arbeitsgegenstand auf unvorhersagbare Weise verändert. Arbeitsgegenstand kann zum Beispiel ein anderer Mitarbeiter, eine andere Führungskraft, der Kunde, das Arbeitsmaterial, aber auch der Arbeitsprozess als solcher sein. Wichtig ist, dass der Arbeitende sich in Beziehung zu seinem Arbeitsgegenstand setzen kann, ohne dass dieser kontrollierbar wäre. Sich in Beziehung setzen bedeutet in diesem Kontext einen Umgang/Verhältnis zu/mit einem Arbeitsgegenstand zu finden. Rosa (2016) schreibt in diesem Kontext davon, dass einer resonanten Beziehung immer das Moment der Unverfügbarkeit vorausgeht. Also das der andere nicht auf Knopf-druck verfügbar, ausnutzbar oder manipulierbar ist. Für eine ausführlichere Darstellung des resonanten Arbeitens verweise ich auf den zweiten Artikel meiner Reihe „visionäres Arbeiten“.

Die Digitalisierung rückt immer mehr Aspekte des beruflichen Alltags in den Bereich des messbaren und vorhersehbaren. Sowohl Kunden- als auch Mitarbeiterverhalten kann, sofern am Computer oder Handy getätigt, nachvollzogen und analysiert werden. Dies geschieht im Kontext der „Big Data“ tagtäglich und führt mit der zunehmenden Komplexität von Algorithmen zu immer präziseren Statistiken und damit letztlich auch genaueren Verhaltensprognosen. Also wann ist es sinnvoll zu verkaufen oder zu kaufen? Welche Mitarbeiter sollten entlassen werden, welche eingestellt? Was wollen die Kunden als nächstes? Bei all diesen Entscheidungen helfen die Auswertungen der generierten Daten. Google ist diesbezüglich Vorreiter und hat ein ganzes Geschäft Rund um Verhaltensprognosen entwickelt (Zub-off, 2018). So trifft Google auf Basis von Daten über das Sozial- und Arbeitsverhalten Aussagen über das bisherige und zukünftige Verhalten von Mitarbeitern, Kunden und Führungskräften. Je mehr Kontrolle durch die digitalisierten Daten suggeriert wird, umso vermeintlich kontrollierbarer werden Arbeitsgegenstände, was wiederrum resonantes Arbeiten unwahrscheinlicher werden lässt, da diese Unverfügbarkeit verlieren. Sie lassen sich jetzt verstehen und vorhersagen.
Nicht viel anders ist es bei der Globalisierung. Die Globalisierung vergrößert ständig den Geschäftsradius. Man macht nicht mehr nur lokale Geschäfte, sondern expandiert europa- oder weltweit. „Die Welt als globales Dorf.“ Im Kontext des resonanten Arbeitens führt dies meiner Meinung nach schlichtweg zu einer quantitativen Überforderung. Je mehr potenzielle Märkte, Menschen oder Länder für ein Unternehmen erreichbar sind, umso schwerer ist es sich zu begrenzen und umso schneller kann man überfordert sein mit den Möglichkeiten. Zum einen ist man überfordert, mit wem man sich in Beziehung setzen soll und zum anderen wirkt es wie eine zu starke Fixierung oder Einengung, im Kontext der Expansion (den in eine resonante Beziehung treten kostet Zeit und Energie).
Die Kommerzialisierung sorgt neben den Effekten von Digitalisierung (Messbarkeit) und Globalisierung (Erreichbarkeit) dazu, dass immer mehr Dienstleistungen käuflich werden: Die Übernachtung bei Ortskundigen Bekannten oder Freunden (Airbnb), ehrliches Feedback (Beratung, Therapie oder Coaching), sich kümmern um Angehörige (Pflege, Pädagogik) oder Zuneigung (…), die eigentlich maximal von der ihr innewohnenden (resonanten) Beziehung abhängen, werden käuflich. Entscheidend im Kontext der resonanten Arbeit ist, dass sobald etwas gekauft wurde, auch darüber verfügt werden kann. Die Resonanz wird unwahrscheinlicher, da der Gegenüber, sobald er bezahlt wurde, seine Unverfügbarkeit verliert. Resonanz kann man nicht kaufen, da dies bedeuten würde etwas zu kaufen, ohne zu wissen, ob oder was man bekommt. Entsprechend können sich zwar resonante Beziehungen aus einem Geschäftsverhältnis entwickeln, aber sie sind nicht teil des Vertrags und je mehr Formalisierung im Vertrag, desto unwahrscheinlicher, das Unerwartete und damit Resonante.
Meiner Argumentation nach machen folglich alle drei Phänomene resonantes Arbeiten immer unwahrscheinlicher.

Dem gegenüber stehen allerdings die aktuellen Trends der Arbeit, über die ich im ersten Artikel geschrieben habe, denn entgegen der Digitalisierung, Globalisierung und Kommerzialisierung bergen diese eine neue Potenzialität der resonanten Arbeit. Selbständigkeit, kleine (Entwickler-; Projekt-) Teams und flache Hierarchien können Wegbereiter sein, Arbeit resonanter zu gestalten. Wenn man sein eigener Chef ist, kann man sich entscheiden für wen man arbeiten möchte und für wen nicht. Folglich bleibt man, unverfügbar und sofern man sich selbst begrenzen kann potenziell resonanzfähig. Kleine Teams, insbesondere mit agilen Arbeitsmethoden sorgen in Organisationen für einen neuen Rahmen, indem man sich innerhalb seines Teams (nicht als Organisation) wieder neu begegnen kann und damit resonante Erfahrungen machen kann. Schlussendlich sorgen auch flachere Hierarchien dafür, dass sich mehr Menschen untereinander (resonant) begegnen können.
Ob Arbeit nun resonant ist oder nicht kann jeder nur für seine Arbeit und Organisation beantworten. Die Phänomene Digitalisierung, Globalisierung und Kommerzialisierung erschweren die Bedingungen für resonante Arbeit, aber die Trends der Arbeit lassen hoffen.

Damit endet meine dreiteilige Blogreihe: „Visionäres Arbeiten“, nicht aber die Beschäftigung mit den Trends der Arbeit. Vielen Dank für das Lesen.

Literaturverzeichnis:
Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Suhrkamp verlag.
Zuboff, S. (2018). Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus Verlag.