Der Wandel unserer Wirtschaft beginnt jetzt     

Wir brauchen Unternehmen, die einen Beitrag zu einer Welt leisten, in der wir gerne leben möchten. Jetzt, im Kontext der Corona-Pandemie, ist ein sehr guter Moment um wichtige Hebel zu stellen, für eine Zukunft, die uns anzieht statt uns zu ängstigen. Unternehmen sind gefordert, ihren Teil der Verantwortung für unsere Zukunft zu übernehmen.

Und zum Teil passiert das auch schon. Das was gemeinhin als gesellschaftliche Zukunftsthemen bezeichnet wurde, ist in Rekordzeit zur Gegenwart geworden. Vieles was unter dem Schlagwort „Zukunft der Arbeit“ firmierte, Aspekte wie Flexibilität von Arbeitszeit und -ort, Digitalisierung von Arbeitsprozessen, wurde nun durch Corona aus der Zukunft in die Gegenwart geholt.

Ich möchte den Bogen aber noch weiter spannen: „Haben wir vor lauter Corona die Klimakrise vergessen?“, so lautet der Titel des Podcast in der Reihe „Das Politikteil“ von ZEIT und ZEIT Online am 12. Februar 2021, ein Gespräch mit der Ökonomin Maja Göpel. Die Antwort heißt wohl Ja, müsste aber eigentlich Nein lauten. Denn Corona ist doch die Klimakrise. Zugegeben, dies ist eine zugespitzte Sichtweise, aber sie ist nützlich. Denn sie lenkt den Blick auf die Ursachen der Pandemie statt auf deren symptomatische Bekämpfung bzw. den Umgang damit. Und damit lenkt sie den Blick auch darauf, wie alles miteinander zusammenhängt und deshalb auch im Zusammenhang betrachtet werden muss. Und das ist notwendig. Sogar überlebensnotwendig.

Wie hängen Corona und die Klimakrise zusammen?

Es ist bisher zwar nicht genau nachgewiesen, wie das Virus, an dem bislang weltweit mehr als 2,3 Millionen Menschen starben und das erstmals Ende 2019 in Wuhan nachgewiesen wurde, zum Menschen gekommen ist. Sehr wahrscheinlich aber ist es so, dass das Virus vom Tier auf den Menschen übertragen wurde. Das passiert aber nicht mal eben so beim Spaziergang durch den chinesischen Wald. Dafür braucht es schon massive Eingriffe in das Ökosystem. Dass Massentierhaltungen nicht nur problematisch für unsere Atmosphäre sind, sondern auch eine wahre Brutstätte für Krankheiten, das ist hinlänglich nachgewiesen. Die Pandemie habe ihren Ursprung in einem Mangel an Biodiversität, der Reduktion der Lebensräume für Tiere und einer Cohabituation von Mensch und Tier, so Maja Göpel. Es ist unser Umgang mit Tieren, den Böden, der Natur, der uns in die Corona-Krise geführt hat. Und das Weltwirtschaftsforum (WEF) sieht im Zusammenhang mit dem Klimawandel noch schlimmere Gefahren als Corona: Die Umwelt, genauer gesagt die von den Menschen verursachten Umweltschäden, das Versagen im Kampf gegen den Klimawandel seien die größten Gefahren für die Menschheit und die Erde. Und gegen Klimarisiken lässt sich auch kein Impfstoff entwickeln. Und doch scheint sich in der aktuellen pandemischen Lage kaum jemand für die Zusammenhänge zwischen Corona und dem Klimawandel zu interessieren. Die Aufmerksamkeit ist auf das Hier und Jetzt fokussiert, eine wahre „Momentitis“ hat sich ausgebreitet. Interessant ist auch zu beobachten, dass die Reflexion einer möglichen Kursänderung eher eine Randerscheinung zu sein scheint, die in elitären Blasen verhandelt wird. Der Großteil der Bevölkerung, vor allem auch der Politiker:innen scheinen sich eher damit zu beschäftigen, wie die bisherigen Systeme, zum Beispiel unsere Wirtschaft, stabilisiert werden können. Dabei wäre gerade jetzt ein günstiger Zeitpunkt für dringend notwendige Veränderungen, auch und gerade unseres Wirtschaftssystems. Ein zukünftiges Wirtschaftsmodell könne nur eins sein, das menschliches Wohlergehen bei einem geringstmöglichen ökologischen Fußabdruck zusichert, so das Fazit von Göpel. Es geht leider gerade noch fast alles in Richtung Stabilisierung eines Systems, das uns erst in diese Krise geführt hat. Darüber wird vergessen, die Ursachen zu bekämpfen.

Die Corona-Krise als Kipp-Punkt

Kipp-Punkte sind der Übergang von stabilen Phasen eines Systems zu sehr tiefgreifenden, sehr starken Veränderungen – Veränderungen in einer Größenordnung, die vorher nie denkbar gewesen wäre. Das System „kippt“ in einen anderen Zustand, es ändert sich grundlegend. Dabei ist klar, dass Kipp-Punkte nicht beabsichtigt sind. Damit verbunden ist das dann plötzliche Bewusstsein, dass die Zukunft offen ist und vieles anders sein wird. Kipp-Punkte bringen einschneidende Veränderung mit sich und machen weitere möglich. Sie stellen nicht nur in Frage, wie die Dinge sind, sondern sie stellen einen Punkt ohne Wiederkehr da. Es wird nie wieder so sein wie vorher. Die Ereignisse schreiben Geschichte, sie ordnen die Verhältnisse neu. Wer hätte sich Anfang 2020 vorstellen können, dass das Straßenbild in Deutschland von Maskenträger*innen geprägt sein wird? Das wäre jedem wie eine Dystopie in einem eher schlechten Roman vorgekommen. Dass wir nun alle Masken tragen, wenn wir in den Supermarkt gehen, ist ein gutes Beispiel dafür, was möglich ist. Wenn die Politik in Krisenzeiten etwas beschließt, dann sind viele auch bereit, das so zu machen.

Dass sich Kipp-Punkte zwar antizipieren lassen, es aber schwierig bis fast unmöglich ist, sich darauf vorzubereiten oder sie gar abzuwenden, das erklärt das Präventionsparadox. Gerade weil Prävention wirkt, erleben Menschen nicht, was sie verhindert. Und da Menschen selten bereit sind, etwas zu verändern, bevor sie die Notwendigkeit nicht wirklich erlebt haben, schwindet die Bereitschaft, die Präventionsmaßnahmen zu unterstützen. Der zweite Aspekt ist, dass Maßnahmen, die der Gesellschaft als Ganzes nützen, dem Einzelnen nur wenig bringen. Hier spielt auch die Zeitdimension eine große Rolle, nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut“. Der Gegenbegriff wäre hier die Enkelfähigkeit von Entscheidungen und der Blick auf den geliebten Nachwuchs, der sehr wohl einen Nutzen aus präventiven Maßnahmen ziehen könnte. Ein dritter Aspekt ist das Problem, dass die Wirksamkeit von präventiven Maßnahmen nicht bewiesen werden kann. Ist eine Maßnahme erfolgreich, ist ihr Nutzen nicht mehr sichtbar.

Und viertens ist die Anpassungsbewegung paradoxerweise häufig das „Gegenrudern“ – also der Versuch alles zu tun, um wieder in den alten Zustand zu kommen und damit vermeintliche Stabilisierung zu schaffen. So wie wir es gerade auch bei den politischen Maßnahmen zur Wirtschaftssicherung erleben.

Dabei könnte die Corona Krise den Boden für eine systemische Erneuerung unserer Wirtschaft bereiten. Jetzt müssten wir unsere Energie dafür verwenden, uns zu fragen wie Wirtschaft neu, wie Wirtschaft anders gedacht werden kann. Doch Gesellschaften neigen dazu, im Status quo zu verharren. Nicht nur das, sie haben die starke Tendenz, den Status quo zu verteidigen – so schräg oder irrsinnig er auch sein mag. Und das aus einem einzigen Grund, Routinen sind so wunderbar kräftesparend. Etwas anders zu machen kostet Energie und ist deshalb nicht ökonomisch. Von selbst passiert eine radikale Veränderung eher nicht. Sie wäre prinzipiell möglich im Sinne einer evolutionären Entwicklung, aber ohne Notwendigkeit eher unwahrscheinlich. Das Schwierige an der Nachhaltigkeit – und das ist wieder ganz vergleichbar mit den Veränderungen in unserem Leben durch die Pandemie – das ist das Seinlassen, das Weglassen, das Aufhören mit liebgewonnenen Gewohnheiten. Dafür müssen wir lernen, dass wir nicht auf „etwas verzichten“ – den Verzicht bedeutet immer das Warten darauf, etwas wiederzuerlangen. Es geht vielmehr um das Annehmen des Neuen.

Es bräuchte jetzt weitere politische Entscheidungen, die eine Systemänderung befördern. So wie es möglich war, eine Maskenpflicht einzuführen, so wäre es auch möglich, die CO2 Steuer so zu gestalten, dass Unternehmen wirklich gefordert sind, den Ausstoß zu reduzieren, statt ihre Umweltverschmutzungspraktiken mit bezahlbaren Beträgen freizukaufen. Corona zeigt uns, wie es möglich ist, dass ein Thema über lange Zeit im Aufmerksamkeitsfokus bleibt. Nun bräuchte es eigentlich nur noch die Verknüpfung mit der Klimakrise, ein Reframing der Corona-Story und die Pandemie würde sogar einen wertvollen Beitrag zur Rettung unseres Planeten leisten.

Jetzt ist die Zeit für die großen Fragen – und die Nachdenklichkeit

Trotz aller Verzweiflung darüber, dass die Dinge nicht mehr so sind wie vorher und es auch kein Zurück mehr gibt zum Vorherigen – in Krisenzeiten ist es wichtig innezuhalten und sich zu fragen: Warum ist das so? Ist das so richtig? Wie könnte eine wünschenswerte Zukunft aussehen? Welchen Wert möchten wir schöpfen? Welchen Beitrag möchten wir leisten? Wer sagt denn eigentlich, dass das Potenzial des Menschen am besten im Ringen um den besten Lebensstandard aufgehoben ist, im Höher, Schneller, Weiter, im Bewusstsein zu denen zu gehören, die es geschafft haben? Maja Göpel spricht dabei so wunderbar von der „Pillepalleisierung der Existenz“.  Der Mensch sei doch eigentlich dazu geschaffen, die Künste, die Kultur, das Kreative, das Denken, die Philosophie in die Welt zu bringen, statt sich den ganzen Tag einer eigentlich sinnlosen Beschäftigung hinzugeben. Die Glücksforschung zeigt uns, dass Immaterielles viel glücklicher macht als materielle Dinge. Wie können wir uns dem Guten und Schönen zuwenden?

Unsere Gesellschaft braucht jetzt Diskursräume für die Frage nach der Zukunft in der wir leben möchten und welche Wege uns dorthin führen. Und wie wir aufhören können uns selbst zu schaden und wie wir etwas Neues werden können. Wie können wir Strukturen so bauen, dass eine wünschenswerte Zukunft wahrscheinlicher wird? Zur Beantwortung brauchen wir viele Perspektiven und wir benötigen Kommunikationsräume, in denen diese Sichtweisen bearbeitet werden können, um sie dann in intelligente Entscheidungen zu überführen. Hier ist die Politik gefragt, aber auch Verbände, Vereine und alle Organisationen, die es möglich machen können, Diskursen einen Raum zu geben. Und vor allem auch Unternehmen. Sie sollten Ihre Tore weit öffnen und sich Diskurse „hineinholen“. So könnte es etwas werden mit dem intelligenten Streiten und der so notwendigen Kursänderung unserer Wirtschaft.

Es gibt bereits viele positive Beispiele. Und es gibt Impulse, die in die richtige Richtung gehen. Jetzt müssen sie nur gehört werden und Anschluss finden. Mein Impuls heute geht in diesem Zusammenhang an die etablierten Unternehmen und Unternehmer. Denn gerade Unternehmen haben weitreichende Möglichkeiten, zusätzlich zum finanziellen auch einen gesellschaftlichen Mehrwert zu erzeugen. Sie tragen eine große Verantwortung, der die meisten Unternehmen aber nicht aus eigener Kraft gerecht werden. Deshalb braucht es dringend geeignete Maßnahmen, um sie zur Verantwortung zu rufen. Durch die aus gesellschaftlichen Bedürfnissen heraus geschaffene politischen Vorgaben entstehen Handlungsräume, um Strukturen zu ändern. Da ist die Frauenquote genau so wichtig wie die CO2-Bepreisung. Durch Corona ist nun glücklicherweise das Bewusstsein für nachhaltigeres Wirtschaften weiter gewachsen. Enkelfähigkeit ist nicht nur attraktiv für Geldanleger, sie ist vermehrt gefragt und rentiert sich. Ökologische und soziale Belastungen unseres Planeten müssen Folgen haben. Und da Unternehmen vor allem die Sprache des Geldes sprechen und dem Kapital folgen, gehört die Bewertung der unternehmerischen Aktivitäten unter diesen Gesichtspunkten auch in jede Bilanz.

 

Hörtipp: Podcast „Das Politikteil“ von ZEIT und ZEIT Online: „Haben wir vor lauter Corona die Klimakrise vergessen?“, ein Gespräch mit der Ökonomin Maja Göpel, 12. Februar 2021.

Lesetipp: „Die Chance für den Kulturwandel in Unternehmen ist da“, ein Gastbeitrag zu Social Impact von Dirk Sander und Oliver Kuschel, enorm Magazin, 9. Februar 2021.

 

#becomebetter

 

Foto von Markus Spiske