Was haben VUCA, Corona und zukunftsdienliche Unternehmensführung gemeinsam?

Die Corona-Krise hat die VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) weithin sichtbar gemacht. Jetzt ist spürbar, was lange gepredigt wurde: echte Disruption in den Märkten und Geschäftsfeldern. Gnadenlose Veränderung in kürzester Zeit – ausgelöst durch ein Virus, welches sich über winzige Aerosole verbreitet. Aber eigentlich ist das gar nicht so neu. Nur müssen wir jetzt hingucken. Warum?

  1. Prinzip Volatilität: Innerhalb der letzten Monate mussten wir einsehen, was gestern noch galt, gilt heute schon lange nicht mehr. Es gab erstmal eine Schockstarre: Bricht jetzt alles zusammen? Woran können wir uns noch halten? Wie sollen wir planen, wenn nichts vorhersehbar ist? Und was lernten wir dennoch in Nullkomma nix? Auf Sicht zu fahren. Wir schauten Reportings nicht mehr quartalsweise an, um über richtungsweisende Vorhaben zu entscheiden. Wir beurteilten von Woche zu Woche, sogar von Tag zu Tag neu, trafen weitreichende Entscheidungen in kürzester Zeit und entschieden wenige Tage später wieder anders. Ganze Geschäftsmodelle wurden umgeschrieben. Autobauer produzierten Defibratoren. Fashion Riesen machten Millionengewinne mit Schutzmasken. Doch Volatilität ist keine Folge von Corona, Märkte sind immer volatil. Wir hatten es nur nicht bemerkt. Auf Sicht zu fahren ist immer eine gute Sache, nicht nur in Zeiten einer Pandemie.
  2. Prinzip Unsicherheit: Wir konnten nicht mehr umher, zu erkennen: Die jahrelang gut gepflegte Illusion der Kontrolle kann heute tödlich für Unternehmen sein. Die Krise macht es deutlich: Wir können uns nicht mehr in vermeintlicher Sicherheit wiegen und blind unsere Jahrespläne schmieden und durchsetzen. Es gibt zu viele unübersehbare Unsicherheitsfaktoren: Wie lange wird es dauern, bis der Impfstoff da ist und wir wieder ungehindert international produzieren und handeln können? Aber hilft eine Impfung überhaupt? Kommt eine zweite Welle, gar eine dritte? Welchen Einfluss haben Schutzmaßnahmen langfristig auf Kauf- und Konsumverhalten der Menschen? Mit welchen Einnahmen können wir wirklich rechnen? Viele dieser Fragen können nicht beantwortet werden. Wir lernen aber plötzlich, trotz dieser Unwegsamkeiten unser Geschäft zu führen. Was wir dabei übersehen? Eigentlich ist nichts anders als vor Corona, denn unbekannte Variablen gab es immer. Wir haben sie nur ausgeblendet oder geglaubt, wir könnten sie kontrollieren. Es ist immer eine gute Idee, in kurzen Zyklen zu planen und auf Sicht zu steuern, um bei Veränderungen schnell strategische und operative Anpassungen vorzunehmen. Neben den Anpassungen ist die veränderte Haltung entscheidend: Wir akzeptieren Unsicherheiten als Normalzustand und planen gar nicht mehr längerfristig. Wir entscheiden und handeln in kleinen Zeitportionen. Und wir lernen, dass „Retros“ – das sich ständige Beobachten und Hinterfragen – uns Aufwind und Antrieb geben. Und noch was führt uns die Krise vor Augen: In unsicheren Zeiten ist kein Platz für Ego-Stunts oder Kannibalisierungswettbewerb. Was zählt, ist die Solidaritätsgesellschaft.
  3. Prinzip Komplexität: Auch die zunehmende Komplexität unserer Wirtschaft ist nichts Neues. Durch Corona wurde uns das Ausmaß der komplexen Verflechtungen internationaler Märkte und Warenströme unmissverständlich vor Augen geführt. Aus Angst vor dem Zusammenbruch der Versorgungslogistik wurden Warenartikel gehortet, deren Bedeutsamkeit uns vorher nie in den Sinn gekommen ist. Unternehmen mit Vorjahres-Milliardengewinnen müssen gerettet werden. Als Betroffener oder externer Betrachter versteht man die Welt nicht mehr. Welches wirtschaftliche Monstrum haben wir da geschaffen? Erster Impuls: Ohnmacht!? Kopf in den Sand stecken, war noch nie die Lösung. Die Situation zeigt uns: Denkt um! Beobachtet genau, kommt zu gemeinsamen Beschreibungen und Narrativen, die wieder handlungsfähig machen. Macht viele kleine Schritte, nicht einen großen Schritt, um das System-Mammut zu verändern. Als systemische OrganisationsberaterInnen denken wir ständig in Schleifen: Beobachten, Analysieren, Intervenieren, Reflektieren; Beobachten und so weiter. LEA Agile Expert Rainer Kruschwitz und LEA Gründerin Christina Grubendorfer haben daraus im Rahmen eines DATEV Veränderungsprozesses das LEA Agile Change Framework gebastelt. In so genannten Minimum Viable Changes – übersetzbar als Mikro-Change-Dosen – passt sich ein Unternehmen an eine veränderte Umwelt an. Durch das iterative Vorgehen und das ständige Wechselspiel aus Beobachten, Intervenieren und Reflektieren lassen sich Veränderungen leicht umsetzen und bei Bedarf anpassen oder gar zurückdrehen: Ganz im Sinne des agilen Leitsatzes: „Safe enough to try!“ Wer das Framework noch nicht kennt, dem sei der gleichnamige Überblicksartikel „LEA Agile Change Framework“ ans Herz gelegt.
  4. Prinzip Ambiguität: Das zeitgleiche Händeln janusköpfiger (Führungs-) Aufgaben galt schon vor der Krise. Es wurde allerdings ebenfalls oft genug geleugnet, ignoriert oder mit Scheinheiligkeit bedient. Die Krise offenbarte deutlich: Wir können diese Herausforderungen, die uns die Einbrüche der letzten Monate bescherten, nicht eindimensional anpacken, z. B. Sparen und Ausharren bis der Spuk vorbeigeht. Wir müssen da sparen, wo es möglich ist; aber gleichzeitig investieren, wo es nötig ist, um z.B. krisentaugliche Produkte an den Markt zu bringen oder Lieferketten umzustrukturieren. Führende erleben im virtuellen Alltag ständig widersprüchliche Anforderungen: Einerseits dem Team Halt und Orientierung in der neuen Realität geben; andererseits Vertrauen aussprechen und ihre Teams jetzt erst recht in die Eigenverantwortung bringen und loslassen. Denn es braucht Teamstärke, Gemeinschaft und Verantwortungsabgabe, um die multikomplexen Anforderungen dieser multi-disruptiven Märkte zu bespielen und der paradoxen Logik gerecht werdende Antworten für eine zukunftsfähige krisenresistente Wirtschaft zu finden.

Das Muster ist klar und für Ökonomen nicht überraschend, die Krise befördert das zu Tage, was vorher schon galt. Sie fordert uns radikale Veränderung ab. Die Krise fordert uns heraus, auf Sicht zu fahren, in kleinen Schritten und kurzen Zeitabständen zu agieren, um schnell und wendig auf die unvorhersehbaren Ereignisse zu reagieren. Das muss uns nicht schrecken. Wir konnten die schnelllebige Welt schon vorher nicht kontrollieren. Unsicherheit ist normal, sie sollte uns nicht aus dem Konzept bringen. Die Chance liegt nun darin, dass jetzt auch die Letzten verstanden haben dürften, wie Organisationen geführt gehören. Die relevanten Akteure haben jetzt hoffentlich die Erlaubnis Veränderung agil zu denken; auszuprobieren und ggf. den Prototyp zu iterieren. Wenn wir uns darauf einlassen, in kleinen Schritten nach vorne zu gehen, ohne festgesetzte Zielbilder im Kopf zu haben, dann kann diese Krise im besten Fall ein Schuss vor den Bug gewesen sein. Dann sind wir jetzt krisengewappnet für echte Monstren wie die multiperspektivischen Herausforderungen des Klimawandels es sind. Und beginnen mit zukunftsdienlicher Unternehmensführung.