Wie „funktionieren“ eigentlich Probleme?

Stellen Sie sich vor, …

…Sie sind in entscheidender Position bei einer großen Fluglinie und Ihnen kommt zu Ohren, dass es über die Mitarbeitenden am Check-in-Schalter an den beiden Berliner Flughäfen überproportional zu Beschwerden kommt. Fluggäste beklagen sich über patzige Antworten und unfreundliche Abfertigungen.

Sicher brauchen die Mitarbeitenden eine Schulung, oder!? Zum Glück haben Sie in Ihrem Unternehmen eine gut aufgestellte Bildungsabteilung, die Sie umgehend mit einer Service-Schulung beauftragen. Aber ach – auch nach dem Training nehmen die Kundenbeschwerden nur geringfügig ab…

Sie suchen weiteren Rat und beauftragen eine externe Beratung mit systemischem Schwerpunkt. Lassen Sie uns der Einfachheit halber davon ausgehen, dass in diesem Fall wir von LEA das sind.

Was tun wir nun? Als systemische Organisationsberater schauen wir – genau! – auf die Kommunikation. Was heißt das? Und was ist der Unterschied? Wir suchen zunächst nach Erklärungen für das als problematisch beschriebene Phänomen. Wie ist es also zu erklären, dass sich die Mitarbeiter*innen am Check-in unfreundlich gegenüber den Kunden verhalten? An der fehlenden Service-Kompetenz kann es nicht liegen. Die Verhaltensebene der Mitarbeitenden wurde durch das Training ja schon betrachtet und „bearbeitet“. Und da Menschen nicht grundlos unerwünschtes oder gar „Fehl-Verhalten“ zeigen, müssen die Ursachen für das unzureichende Service-Verhalten also woanders liegen. Aber wo?

Während unseres Gespräches fällt Ihnen plötzlich wieder ein: Der Trainer der Service-Schulung erzählte Ihnen im Nachgang, dass er die relevanten Inhalte vermittelt hat und die Seminarteilnehmer*innen auch gut mitgearbeitet und die Inhalte gut umgesetzt hätten. Am Rande, in Pausengesprächen, habe er allerdings mitbekommen, dass es wohl einiges Gemurre gibt, da die Service-Mitarbeitenden seit einiger Zeit dreimal wöchentlich ihren Standort wechseln müssen (von Tegel nach Schönefeld und zurück). Das war vorher nicht so, aber ein neuer Bereichsleiter für die Bodeneinheiten hat das im Rahmen einer Dienstplanrevision so angeordnet. Dieser Bereichsleiter sei aber wenig ansprechbar für das Service-Personal und viel im Ausland unterwegs.

„Wie interessant!“ finden wir.

Beratung ist wie Spurensuche. Es geht darum, im großen Bild zu schauen, welche Wege sich die Kommunikation sucht, wer mit wem wann über was spricht. Gut ist auch immer nach Unterschieden zu suchen und Zeitreisen zu machen. In dieser Situation erfahren wir:

  • es gibt einen neuen Bereichsleiter, der nicht zu greifen ist
  • Arbeitsabläufe haben sich entscheidend verändert
  • es besteht Unzufriedenheit bei den Mitarbeitenden des Berliner Boden-Service-Personals

Kann es also sein, dass die Mitarbeitenden durch ihr mangelndes Service-Verhalten einen Kanal gefunden haben, um auf den für sie eigentlichen Missstand, nämlich die Unzufriedenheit mit der neuen Dienstplanung, hinzuweisen? Immerhin haben sie auf diesem Wege plötzlich Aufmerksamkeit erhalten. Es wird sich „gekümmert“. Dies hat einmal gut funktioniert, was spricht dagegen, dass es wiederholbar ist, diese Aufmerksamkeit zu bekommen? Und zwar so lange, bis der eigentliche Grund gefunden ist. Wird er nicht gefunden, ist zumindest die Bildungsabteilung vermutlich gut beschäftigt weiterhin…

Schauen wir nochmal ganz analytisch auf die Situation und warum der Blick auf das System wichtig ist um das Problem zu verstehen:

Schaubild Praxisbeispiel

Wir sehen, dass die Service-Mitarbeitenden offenbar über die Kunden „über Bande“ spielen, da der eigentliche Adressat ihres Problems, der Bereichsleiter, nicht greifbar ist.

Was könnte also zu tun sein?

Der Bereichsleiter als Ansprechpartner ist gefordert. Eine gemeinsame Sachklärung und lösungsorientierte Auseinandersetzung mit den Mitarbeitenden steht an, spätestens danach sollte sich die Bildungsabteilung aus der Sache raushalten können. Und Sie auch. Wichtig ist es, diesen Kommunikationsweg „auf Dauer“ zu stellen. Eine regelmäßige Möglichkeit zum Austausch zwischen Service-Personal und Bereichsleitung sollte hier etabliert werden.

Einige Monate später:

Bei einer Mitarbeitenden-Befragung zeigt sich das Bodenservice-Personal zufrieden mit seiner Arbeitssituation – nach einer neuen, gemeinsamen Überarbeitung des Dienstplanes wurde ein wöchentliches Rotationsmuster eingeführt. Die Kundenbeschwerden sind deutlich zurückgegangen.

 

Fazit:

Wir sprechen bei solchen Aufträgen von „Wegeaufträgen“: der Kunde sieht ein Problem und scheint die Lösung bereits zu kennen. Diese gibt er dann in Auftrag. In diesem Fall war es ein Training, das Linderung verhieß. In unserer Rolle als systemische Berater*innen sehen wir unsere Aufgabe darin, diese ersten Lösungsideen zu hinterfragen und den problemerzeugenden Prozess zu verstehen bzw. auch, was eigentlich erreicht werden soll.

Psychische Prozesse von Mitgliedern einer Organisation determinieren nicht kausal, was in einer Organisation geschieht. Individuelles Verhalten ist meist durch die Teilnahme an einem organisationalen Prozess zu erklären. Diesen Prozess zu identifizieren und zu verstehen ist der Hebel für eine nachhaltige Organisationsentwicklung.