Im Zuge des Projektes „Zukunftsfähigkeit der HR-Organisation“ sind wir für unseren Kunden auf Forschungsreise gegangen. Dafür haben wir Unternehmen aus unterschiedlichsten Industrien interviewt und versucht herauszufinden, wie „agil“ HR sein kann und welchen Nutzen, das für das Unternehmen mit sich bringt. Hier eine Zusammenfassung aus einem unserer Gespräche mit Ulrike Bold, der HR-Bereichsleiterin von myToys.
LEA: Vor einigen Jahren startete bei der Otto Gruppe eine große Initiative „Kulturwandel 4.0“. Können Sie mir etwas genauer ausführen, was es damit auf sich hat?
Ulrike Bold: Die Otto-Gruppe besteht aus einer Vielzahl von Unternehmen mit unterschiedlichsten Geschäftsmodellen. Von Start-Ups bis mittelgroße traditionelle Unternehmen ist alles vertreten. Der digitale Wandel forderte uns alle auf, flexibler und schneller auf veränderte Umwelten zu reagieren und innovative Lösungen für unsere Kunden zu finden. Organisationen, die so agieren wollen, brauchen bestimmte Kompetenzen, Werte und ein spezielles Mindset. Hierzu gehören unter anderem Selbstreflektion, Offenheit, Mut, Vernetzung und Wertschätzung für neue Ideen und Veränderung. Dies zu stärken, war der wesentliche Treiber für die Kulturwandel Initiative.
LEA: Welche Auswirkungen hatte dieser Kulturwandel auf HR bei myToys?
UB: Für die HR-Funktion bei myToys bedeutete dies: Wir als HR sehen uns nicht nur als Business Partner (strategisch) und schon gar nicht als reiner Admin-Anbieter. Wir als HR möchten ein ganzheitlicher Service Provider für das Unternehmen und unsere Mitarbeiter sein. Wir möchten nahe am Business und mit dem Business gemeinsam relevante Produkte, Angebote und dafür notwendige Prozesse entwickeln. Was wir bis dahin geschafft haben ist, dass wir außer unserer eigenen kontinuierlichen Verbesserung von bestehenden Prozessen immer mehr in Co-Creation und im Wege von Design Thinking-Ansätzen mit unserem Business entwickeln.
Das erfordert eine entsprechende Haltung und auch ein Methodenset im HR Team. Wir müssen flexibel denken und handeln, fokussiert auf unsere Kunden sein und innerhalb unserer Rahmenbedingungen die beste Lösung finden. Stärker vernetzt und gemeinsam zu arbeiten, sogenannte „Hoheitsgebiete“ von HR zu verlassen und auch mal loszulassen, flexibel zu sein und auch mal mit kleinen ersten Zwischenlösungen zu arbeiten und dann weiter auszuprobieren, verstärkt digital zu denken und mit Daten zu arbeiten, um Wertschöpfung zu generieren – das ist nicht unbedingt die gewohnte Art, wie HR arbeitet und „tickt“. Gleichzeitig wurde HR auch vom Business bisher nicht unbedingt so wahrgenommen. Von daher ist das ein ganz eigener, kleiner Kulturwandel, der schon bei HR anfängt.
LEA: Wie und warum kontinuierliche Verbesserung von bestehenden Prozessen? Können Sie das genauer ausführen?
UB: Prozesse müssen dem Ergebnis dienen. Und das vom Kunden gewünschte Ergebnis kann sich schnell ändern. Schon allein deshalb müssen Prozesse immer wieder hinterfragt werden. Gleichzeitig kenne ich keinen Prozess, der nicht noch optimierbar ist. Wenn man dies als Ausgangsbasis denkt, ist eine kontinuierliche Verbesserung obligatorisch. In unserer Mission haben wir uns unter anderem dem Selbstverständnis verschrieben, dass HR vertrauensvoller und kompetenter Partner des Business ist, unkomplizierte Services im Daily Business bietet, durch individuelle Beratung in den wichtigen Momenten begeistert und dass wir darüber hinaus die MYTOYS GROUP aktiv mitgestalten.
Dies zu leben, bedeutet kontinuierliche Verbesserung und die findet auf drei Ebenen statt:
Unsere Mission verpflichtet uns erstens dazu, dass wir selbst ständig besser werden und an unseren Fähigkeiten und unserem Mindset arbeiten. Zweitens, leitet sich hieraus ab, wie wir Produkte erarbeiten und Prozesse gestalten und beides auch leben. Drittens, fühlt sich HR auch mitverantwortlich dafür, wie die Organisation als Ganzes arbeitet und in welchem Mindset und mit welchen Werten, welchen Kulturaspekten wir hier unterwegs sind.
Um als starker Partner für das Unternehmen aufzutreten, holen wir uns laufend Feedback von unseren Kunden ein. Hier bekommen wir das Bild rückgespiegelt, dass wir bereits als starker und extrem vertrauenswürdiger Partner wahrgenommen werden. Das merken wir auch im Täglichen daran, in welche Art von Themen wir aktiv eingebunden werden und wie aufgeschlossen das Business reagiert, wenn wir Neuerungen vorschlagen oder eben gemeinsam etwas erarbeiten wollen.
Um die Basis HR-Arbeit gewährleisten zu können, versuchen wir repetitive oder administrative Prozesse aktuell, weitest möglich zu digitalisieren. Unsere Kunden sollen selbstverantwortlich, easy und unkompliziert Zugriff auf alle HR relevanten Auswertungen, Daten und Formulare haben. Prozessschlacke, die erkannt werden, versuchen wir rasch zu entfernen und die Prozesse so laufend weiterzuentwickeln. Außerdem dienen alle Prozesse, die wir aufgesetzt haben, als grobe Richtlinie. Parallel dazu fordern wir unsere Kunden und Mitarbeiter auf, eine unkomplizierte Herangehensweise zu leben: ‚find your way around‘ und leben das auch selbst. Prozesse haben keinen Selbstzweck und wir möchten mit den Prozessen nicht Barrieren aufbauen, sondern Rahmen vorgeben und hierüber Ergebnisse und Geschwindigkeit ermöglichen.
Wir als HR möchten außerdem als kompetente Berater und Enabler wahrgenommen werden und laden gleichzeitig unsere Stakeholder ein, aktive Mitgestaltung von HR-Angeboten zu betreiben. Wir als HR holen unsere Expertise aus Umfragen von Kunden, Austausch mit anderen HR Teams, sowie „State of the Art“-Literatur und bauen in Co-Creation gemeinsam mit dem Kunden darauf neue Projekte / Produkte und Services. Zuletzt haben wir hierüber Feedback-Formate, Mitarbeiter-Entwicklungsgesprächsleitfaden und neue Führungskräftertrainings entwickelt.
LEA: Sie sprechen über die Zusammenarbeit mit Stakeholdern. Wie sieht Co-Creation bei myToys aus und welche agilen und neuen Arbeitsansätze versuchen Sie als HR-Abteilung anzuwenden?
UB: Agilität spielt bei uns eine zunehmend wichtige Rolle. Aber nicht als trendiger Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, dort wo es passt. In der Payroll z.B. sehen wir gerade nicht den Mehrwert darin, agil zuarbeiten und lassen es dementsprechend auch.
Wir verstehen Agilität 1. als Mindset und Prämisse: Flexibel und offen werden im Kopf und 2. als Toolset. Einige Beispiele wie wir Agilität im Alltag leben:
Wir arbeiten mit einer flexiblen HR Roadmap. Wir nehmen uns neue Themen für einen gewissen Zeitraum vor, die wir aus den Bedarfen des Business und der Organisation ableiten. Die Themen werden an uns herangetragen oder von uns initiiert. Hier tracken wir gemeinsam: „Was haben wir geschafft, was haben wir nicht geschafft und warum haben wir es nicht geschafft“. Wir schauen, warum wir gewisse Themen nicht geschafft haben, welche anderen Themen möglicherweise dazwischenkamen und gelöst werden mussten. So bekommt man ein Gefühl dafür – wie dynamisch unser (HR) Business ist und wie wichtig es ist, darauf zu reagieren. Aufgrund der laufenden Reflexion in kurzen Zyklen, intern als Team, können wir uns schnell neu ausrichten. In der Retrospektive ist es auch oft aufschlussreich, was an unvorhergesehenen Themen dazukam und welches Bild sich daraus zeichnen lässt. Sprich, was bewegt die Organisation tatsächlich und was heißt das wiederum für uns als HR. Kurze Zyklen, klein geschnittene Projekte, Ausprobiermodus und Reflektion sind hier unter anderen agile Arbeitsweisen, die zum Einsatz kommen.
Mit unserem Betriebsrat arbeiten wir in Anlehnung an die Scrum-Methode und mit Kanban Boards. Wir arbeiten nicht mehr wie früher klassisch auf Mitbestimmungsthemen ausgerichtet. Wir sammeln gemeinsam Themen, versuchen, die jeweilige Initiative hinter den Themen zu verstehen und wie wir sie gemeinsam bearbeiten können. Wir priorisieren gemeinsam und erarbeiten die Themen dann zusammen weiter. Hierüber sind wir nochmal deutlich produktiver geworden und es hat sich eine intensivere Form der Zusammenarbeit ergeben. Wenn es an einer Stelle hakt oder Probleme gibt, unterstützen wir uns gegenseitig. Denn wir haben inzwischen einen geübten Blick darauf, Dinge zu prozessieren. Bei der Auswahl der Themen gehen wir nach Bedarfen des Business und der Mitarbeiter. Nur selten selektieren wir noch danach, was eigentlich mitbestimmungspflichtig ist und was nicht.
Neben der Bearbeitung der Themen haben wir damit begonnen, auch diesen Prozess regelmäßig zu hinterfragen und weiter zu optimieren. Neu ist auch, dass wir gemeinsame Retrospektiven zu unserer Zusammenarbeit durchführen. Hierbei lassen wir uns von Agile Coaches moderieren, um noch besser zu werden. Das geht alles nicht ohne Reibung und Anstrengung. Unsere Produktivität und auch die Qualität unserer Zusammenarbeit sind es aber mehr als Wert.
Ein weiterer Aspekt sind unsere konzernweiten „Best-Practice Clubs“, Round Tables und ähnliche Formate. Für die Clubs z.B. gibt es weder vorgegebene Strukturen noch Richtlinien über Organisation und Ablauf. Selbstorganisiert und je nach Bedarf treffen sich Experten aus den unterschiedlichen Firmen der Otto Group und beraten sich gegenseitig zu aktuellen Herausforderungen bzw. tauschen sich über neue Themen aus. Für HR gibt es diverse Clubs, z.B. zum Thema Leadership, Development, Recruiting, etc. Es gibt inzwischen konzernweite Austauschplattformen und Kanäle (MS Teams, Intranet, Apps), um über den persönlichen Austausch hinaus auch Informationen und Dokumente teilen zu können. Ich denke, dass wir durch diese Art der Vernetzung und des Austauschs diesen Aspekt der Kultur pflegen und tatsächlich auch die Stärke der Gruppe in bester Weise nutzen.
LEA: Was gelingt dabei und was fällt schwer?
UB: Das Ganze ist für mich ein Prozess, vor allem ein Lernprozess. Sich ein bestimmtes Mindset zu erarbeiten und die stetige Flexibilität und Verbesserung zu leben, ist kein Projekt mit Anfang und Ende, sondern eine Haltung und ein Weg. Sich als lernend zu verstehen, ist für mich dabei aber auch schon Teil der Lösung.
Auf was man natürlich aufpassen muss, wenn man neue Arbeitsweisen implementiert: je vernetzter man arbeitet und je breiter man Entscheidungen trifft, desto mehr muss man fokussiert bleiben.
Dies gelingt uns aber schon ganz gut. Wir merken in der neuen Arbeitsweise wenig Herausforderungen, da wir nicht nach starren Vorgaben arbeiten, sondern versuchen uns gegenseitig zu befruchten und voneinander zu lernen. Das war immer schon DNA von myToys und dementsprechend auch schon in den Köpfen angelegt. Es gilt nun, das Ganze weiterzutreiben und noch stärker zu etablieren. Wichtig ist es, die Zeit für Reflexion und Austausch zu nutzen und unsere Zeit dafür zu investieren. Das geht im Alltag schnell unter, darf es aber nicht.
Um schnell zu sein und zu lernen, hilft es häufig auch, Themen kleinzuschneiden oder erstmal mit einem Prototypen zu starten. Dass das ein guter Ansatz ist, weiß man eigentlich inzwischen, nichts desto trotz beobachte ich immer wieder, dass man dann schnell zu viel auf einmal will.
Auch finde ich es alles andere als banal, eine gute Balance aus Flexibilität und schnell verfügbaren Lösungen einerseits und langfristig ausgerichtetem Handeln andererseits zu finden. Ich denke, das ist eine ewige Herausforderung.
Insgesamt sind wir als HR Team schon gut unterwegs und werden als Partner wahrgenommen und in Anspruch genommen. Wir müssen als HR Abteilung nicht für Projekte pitchen oder uns einen Platz am Tisch erkämpfen. Wir schaffen Nähe zum Business, greifen tatsächliche Needs auf und entwickeln nicht am Business vorbei neue Services, die dann ohnehin niemand braucht. Außerdem merken wir durch diese neue Arbeitsweise, dass wir bei der Einführung von neuen Produkten und Prozessen auf viel weniger Widerstand stoßen und eine höhere Akzeptanz schaffen, da wir es gemeinsam entwickelt haben. Das sind für mich alles sehr gute Hinweise darauf, dass wir vieles richtig machen. Wir müssen oft eher schauen, dass wir die ganzen Themen, an denen wir arbeiten könnten, gut priorisieren. Dabei hat aber die beschriebene Arbeitsweise tatsächlich auch den positiven Nebeneffekt, dass wir natürlich weniger zentrale Ressourcen aus HR brauchen, wenn wir gemeinsam mit anderen Themen erarbeiten.
Der Blick in die Zukunft: Unsere Best-Practice Clubs werden wir noch weiter ausbauen. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns noch stärker cross-funktional aufstellen und Rollen aufweichen. Ich kann mir sogar auch vorstellen, dass bestimmte Rollen und Verantwortungen auch noch viel stärker mit dem Business verschwimmen. Warum kann nicht ein Marketing Manager Product Owner für die Entwicklung eines HR Produkts sein? Denn soweit sind wir von solch einer Denk- und Arbeitsweise gar nicht entfernt.