Organisationsrebellen – die Rockstars der Managementabteilungen. Mit ihren kreativen Lösungen schlittern sie in den Unternehmens-Chroniken knapp an der Illegalität vorbei und bringen so den großen Erfolg. Fällt man dabei aus der Kurve sieht das Schicksal anders aus: Medienhetze, Sündenbock-Dasein, im besten Fall große Ablösungssummen, um sich stillschweigend aus dem Unternehmen zu verabschieden.
Kaum ein Thema ist so laut diskutiert und gleichzeitig so totgeschwiegen wie die brauchbare Illegalität in Organisationen. Im Podcast „Was macht Regelbrüche attraktiv?“ gingen wir diesem Phänomen zusammen mit Stefan Kühl, Professor für Organisationsoziologie, auf den Grund. Die Heldengeschichten über brauchbare Illegalitäten kommen meist erst mit den Jahren – man könnte auch sagen mit den Verjährungen. In der Gegenwart erlebt man solche eigentlich verbotenen Abweichungen als Berater*innen anders:
Organisationen zeigen sich von ihrer Show-Seite. Dass es regelmäßig Abweichungen von den formalen Regeln braucht, um effizient, schnell und innovativ zu sein, würde niemand offen sagen. Häufig auch intern nicht. Kommen aktuelle Regelbrüche ans Licht, dann meist als Skandal in den Medien. Um dann den Eindruck zu wahren, braucht es Sündenböcke. Einzelne werden herausragend hoch bestraft, Compliance-Abteilungen stark gemacht und die Fähigkeit, die eigenen Regelabweichungen erst mal zu vertuschen, gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Denn Fakt ist: eine komplett durchformalisierte Organisation kann es nicht geben – die Arbeitsabläufe wären zu starr, als dass Mitarbeitende auf aktuelle Anforderungen reagieren könnten.
Von Mitarbeitenden in jeglichen Branchen wird also abseits vorgegebener Prozesse doch erwartet „flexibel“, „kreative Lösungen“ zu finden. Für sie kann es fast schon zur informellen Regel werden, formale Regeln zu untergraben; quasi einen doppelten Boden zu schaffen. Die Verantwortung für die Regelbrüche wird so nach unten delegiert. Kracht der Boden ein, bleibt der Einzelne als Sicherheitsnetz für die Organisation, die nach außen hin unwissend bleiben muss. Dabei wäre es so wichtig brauchbare Illegalität offen zu thematisieren:
Unternehmen lernen weniger, wenn sie versuchen das naive Bild der Organisation ohne Regelbrüche zu wahren. Zum einen nicht von ihren eigenen Fehlern – zum anderen nicht voneinander. Professor Stefan Kühl nennt hier das Beispiel von Sicherheitsabteilungen. Sie vernachlässigen nicht etwa willkürlich Richtlinien, sondern haben sich mühsam das informale Wissen angeeignet, wo Abweichungen von der vorgegebenen Norm akzeptabel und wo inakzeptabel sind. Bemerkenswert bedenkt man, dass ein produktiver Austausch über solche Abweichungen kaum möglich ist.
Mit brauchbarer Illegalität umzugehen, bedeutet viel zu häufig sich entweder fürs Heroisieren oder Skandalisieren entscheiden zu müssen. Dabei würde es sich gerade für Führungskräfte lohnen, einen wertungsfreien, verständnisvollen Blick wagen. Mitarbeitende brauchen einen vertrauensvollen Diskussionsraum, um funktionale Regelbrüche zu thematisieren, Risiken offen abzuschätzen, informelle Regeln und gegebenenfalls sogar Alternativen greifbar zu machen. Das zu bewerkstelligen ist kompliziert und bringt Führungskräfte an organisationale, teils aber auch menschliche Grenzen. Die Frage danach, bis zu welchem Level Regelbrüche vor den Vorgesetzten ohne Beeinträchtigungen für die Jobsicherheit geäußert werden können, ist kaum beantwortbar.
An dieser Stelle helfen anonymisierte Erfassungsverfahren oder auch externe Berater*innen-Teams. Uns bei LEA bewegt zum Beispiel besonders, wie die Unternehmenskultur auf brauchbare Illegalität wirkt – und sie so beeinflussbar macht. Dabei ist es besonders wichtig Leitplanken und Austauschformate zu entwickeln, die brauchbare Illegalität nicht verteufeln, sondern als Teil einer jeden Organisation erstmal akzeptieren. Und dann aber auch die überspitzten Narrativen, von wenigen, erfolgreichen Regelbrecher*innen-Rockstars bewusst loszulassen.
Wir freuen uns drauf, gemeinsam in so einen Austausch zu gehen!