Was macht Regelbrüche attraktiv? Brauchbare Illegalität in Organisationen (mit Christina Grubendorfer und Prof. Dr. Stefan Kühl)

Schaut man in die Managementliteratur, so werden gerne Geschichten über Personen erzählt, die sich nicht an die Regeln einer Organisation gehalten haben und gerade deshalb eine tolle Erfindung machen konnten oder eine Innovation auf den Weg gebracht haben. Es ist von Musterbrechern, Organisationsrebellen und anderen Held:innen die Rede. Und im Rückblick scheint deren Vorgehen fast romantisch, zumindest aber nicht riskant und paradoxerweise dann doch irgendwie legal.

Was ist da los?

Viele Regelabweichungen in Organisationen erfolgen nicht zum eigenen Vorteil der Mitarbeitenden, sondern weil sie funktional sind. Das heißt, die Mitarbeiter weichen von Regeln ab, um der Organisation zu helfen. Regelbrüche erhalten also das Funktionieren von Organisationen aufrecht, deshalb spricht man in der Organisationsforschung von »brauchbarer Illegalität«.

Wie es zu den Regelbrüchen kommt, welche Impulse von ihr ausgehen aber auch welche Probleme sie beinhalten, darüber spricht LEA Gründerin Christina Grubendorfer mit Prof. Stefan Kühl.

Stefan Kühl ist Professor für Soziologie an der Universität Bielefeld und arbeitet als Organisationsberater für Metaplan. Er berät Ministerien, Verwaltungen, Unternehmen und Hochschulen. Er verfasste mehrere Bestseller über Organisationsfragen. Sein aktuelles Buch „Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen“ erschien 2020 im Campus Verlag, wie zuvor auch: „Wenn die Affen den Zoo regieren. Die Tücke der flachen Hierarchien“, „Das Regenmacher-Phänomen. Wiedersprüche im Konzept der lernenden Organisation“ und „Sisyphos im Management. Die vergebliche Suche nach der optimalen Organisationsstruktur“. 

Hier geht’s zum Buch: „Brauchbare Illegalität“ https://www.campus.de/buecher-campus-verlag/wissenschaft/soziologie/brauchbare_illegalitaet-16237.html

Für Eilige: Einige Insights aus dem Podcast

Wie häufig sind Regelbrüche in Organisationen?

Organisationen sind wie wir Menschen, widersprüchlich und imperfekt. Regelbrüche oder funktionelle Abweichungen sind also völlig normal im day to day business. Der „Bummelstreik“ deutscher Fluglotsen im Jahr 1971 hat gezeigt, dass strikter „Dienst nach Vorschrift“ eine Organisation äußerst effektiv lahmlegen kann. Natürlich gibt es einen starken informalen Druck sich an die Regeln zu halten, aber auf der anderen Seite wird -vor allem in unserer heutigen Zeit- von Mitarbeiter:innen erwartet, stets flexibel zu reagieren und eigenverantwortlich kreative Lösungen zu finden.

Es ist das normalste der Welt, aber ein Tabuthema. Wie gehen die Führungsebenen mit diesem heiklen Thema um?

Der oberen Managementebene ist es natürlich bewusst, dass das Unternehmen ohne die sogenannte „brauchbare Illegalität“ nicht lange weiterleben kann, daher „(…) surft man dann letztendlich in Grauzonen.“ Nach außen ist man als Führungskraft aber natürlich verpflichtet, die Regelkonformität strengstens zu vertreten.

Wenn Regelbrüche erfolgreich sind werdensSie oft im Nachhinein heroisiert: „Innovation wird von Musterbrecher:innen gemacht!“ oder falls ein Regelbruch nicht erfolgreich ist und an die Öffentlichkeit kommt, wird skandalisiert und Einzelne werden an den Pranger gestellt, die Compliance Abteilung wächst und stellt mehr Regeln auf. Klar ist, die brauchbare Illegalität läuft an anderer Stelle weiter.

Was wäre denn ein Beispiel für das „Surfen in Grauzonen“?

Ein öffentliches Unternehmen im Instandhaltungsbereich, die oft sehr zeitnah Ersatzteile oder Expertendienstleistungen benötigen, umging regelmäßig langwierige Ausschreibungsrichtlinien. Die Beauftragung und Ausführung hat direkt stattgefunden und im Nachhinein wurde den Dienstleistern dann der Gewinn der Ausschreibung zugesichert. Je nachdem in welche Branche man schaut, werden Regelbrüche natürlich schnell fatal und damit auch strafbar. Es sollte eine Differenzierung stattfinden zwischen Erwartungen die gegen die Formalstruktur verstoßen (brauchbare Illegalität) und informalen Erwartungen, die schlicht und einfach Formalitätslücken füllen (Verzicht auf Regulierung). Mit der Zeit wird bei Mitarbeiter:innen also viel informales Wissen angesammelt, wo flexibel agiert werden kann und wo es essenziell ist, die sinnvollen und oft lebensrettenden Regelungen einzuhalten.

Ohne geht es nicht und darüber reden darf man auch nicht. Wie kann man dann entscheiden was geht und was nicht?

Durch teilnehmende Beobachtung und Beobachtungsinterviews, kann ein Diskussionsraum entstehen der sich allerdings kaum systematisieren lässt. Durch Vertrauensbildung, Isolation von Informationen und Legitimisierung von brauchbarer Illegalität („ist logisch und zu verstehen“), können aber Möglichkeitsräume erschaffen werden, um mehr Klarheit zu diesen Grauzonenthemen zu gewinnen.

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