Selbstorganisation auf Rezept: The good, the bad and the ugly selbstorganisierter Teams

Selbstorganisation in Unternehmen braucht eine Packungsbeilage. Warum? Weil wir, wenn wir komfortables Arbeiten, viel Reflexion über die eigene Organisation und wenig explizite Prozesse hören, nur selten denken, dass wir uns schon tief in den „Risiken und Nebenwirkungen“ der Selbstorganisation befinden.

Peter Rubarth ist Agile Coach und brachte für uns im LEA Podcast Organisationen Entwickeln „the good, the bad and the ugly“ der Selbstorganisation auf den Punkt. Selbstorganisation sieht er dabei wie einen Vogelschwarm: aus wenigen einfachen Regeln ergibt sich komplexes Verhalten. Praktisch haben Teams also die Hoheit über das „Wie“ sie eine komplexe Aufgabe erledigen möchten. Geplante Strukturen sind – sowohl für das Erledigen von Aufgaben als auch mit Sicht auf hierarchische Weisungsbefugnisse – eher eine Fehlanzeige.

Und genau daraus speist sich häufig the bad der Selbstorganisation. Ohne explizite Prozess-Standards wird es anstrengend, sich bei der Zusammenarbeit im Team zurechtzufinden. Es fordert ständige Reflexion über die eigene Organisation. Per se ja positiv – nicht allerdings, wenn so Kapazitäten für das eigentlich Tagesgeschäft oder die eigenen Kunden dahinschmelzen. Und dann ist da noch die Sache mit den Komfortzonen: Peter Rubarth erlebt selbstorganisierte Teams auch mal als eher veränderungsscheu. Ohne fordernde Führungskraft fehlt häufig die Außenperspektive, also der Blick darauf, wo es gerade nicht gut läuft und dringend etwas getan werden muss.

Hier könnte man jetzt meinen, dass ein Agile Coach doch perfekt ins Bild passt. Soll die Führung im Sinne von selbstorganisierten Teams wenig – selbst in nicht gut laufende – Prozesse eingreifen, springt der Agile Coach ein und kompensiert heimlich. Über dieses Prinzip haben wir auch schon im LEA Podcast 63. Führung durch die Hintertür gesprochen. Der Haken: so lassen sich nur die Symptome behandeln, nicht aber die Ursache des Problems und noch dazu fällt so eine implizierte Führung meistens auch noch viel unerfolgreicher aus als ihr explizites Gegenstück.

Als wären diese möglichen Nebenwirkungen der Selbstorganisation nicht schon genug, treffen wir dann auch noch auf the ugly. Mitarbeitende sind nicht zwangsläufig intrinsisch motiviert dazu den Unternehmenszweck zu verfolgen. Der Wunsch nach angenehmem, vielleicht sogar bequemem Arbeiten konkurriert mit Unternehmenszielen wie Profit und effizienten Abläufen. Das anzusprechen ist allerdings haarig. Würde man so nicht eigentlich auch sagen, dass Selbstorganisation zum Scheitern verurteilt ist?

Nicht wenn man – wie Peter Rubarth – an the good glaubt und weiß, mit diesen Nebenwirkungen umzugehen. Blicken wir mal auf das Gute: ohne hierarchischen Rattenschwanz, fühlen sich Mitarbeitende weniger politischen Interessen verpflichtet. Heißt zum Beispiel: statt bei der Problemlösung mit einer anderen Abteilung in den Fokus zu stellen, was der jeweilige Chef erwartet, thematisieren die einzelnen Personen, was genau sie zum Lösen der Herausforderung brauchen. Mehr Fokus auf die Sache statt Stellvertreter-Machtrangelein also.

Zusätzlich entstehen mit der Selbstorganisation Freiheiten: Kann ich meinen Tag so gestalten, wie ich möchte, dann ist eine kurzfristige Absprache mit den Kolleg:innen selten ein Problem. Grenzen mich Hierarchien nicht ein, kann ich direkt zum richtigen Ansprechpartner gehen, statt aus der Sorge heraus andere zu übergehen mehr Leute als nötig ins Boot zu holen. In solchen Gesprächen erlebt Peter Rubarth gerade Führungskräfte oder auch Vorstandsmitglieder, die selbstorganisierte Teams fördern, überraschend offen, transparent und authentisch. Anders als man das von starren Hierarchien kennen könnte.

The good, the bad, the ugly – wenn man auf selbstorganisierte Organisationen blickt, gibt es also immer diese drei Seiten. Ziel ist, dass das Positive die möglichen Risiken und Nebenwirkungen überwiegt. Und auch dazu bringt Peter Rubarth im Podcast interessante Einblicke mit, zum Beispiel: die Macht guter Dailies und warum manchen Teams schon 5 Minuten reichen können, um den Tag über wirkungsvoll zusammenzuarbeiten. Und auch, wenn wir festgestellt haben, dass ein Agil Coach auf keinen Fall eine Führungsrolle ersetzen sollte, lassen wir uns diese Methode nach dem Podcast gerne vorschreiben oder viel mehr von ihm verschreiben.