Vertrauen als Erfolgsfaktor für Unternehmen?

Gerade im Kontext neuerer Ansätze des Organisierens, agiler Vorgehensweisen wie Scrum oder Kanban, wird viel über Vertrauen in Organisationen gesprochen: Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter*innen, Vertrauen in das Engagement der Kolleg*innen, Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der Teams, Vertrauen in die gesetzten Rahmenbedingungen, Vertrauen in die Beweglichkeit der Vorgesetzten, Vertrauen in die Schnelligkeit der Organisation. Vertrauen wird als wichtiger Erfolgsfaktor bezeichnet, als Schmiermittel der Organisation. Und umgekehrt sei mangelndes Vertrauen ein Nährboden für Angst und schlechte Leistung. Das ist sicherlich richtig. Schade nur, dass sich Vertrauen nicht anordnen lässt und zudem ziemlich unterrepräsentiert ist in Organisationen. Was nun?

Da lohnt sich erstmal ein kritischer Blick auf dieses „große“ Wort: VERTRAUEN

Mit dem Vertrauen ist es nämlich wie mit der Seife in der Badewanne. Je beherzter man danach greift, desto weiter flutscht sie weg. Das fällt mir zum Thema Vertrauen immer zuerst ein. Wir denken beim Thema Vertrauen meist an das persönliche Vertrauen und die Schäden, die entstehen können, wenn man fälschlicherweise vertraut und rückblickend anders entschieden hätte. Das mag für das Verleihen von Geld, oder auch so manch ein Eheversprechen gelten. In Organisationen sind es zum Beispiel die dem Kollegen „vertraulich“ berichteten eigenen Verfehlungen, die dann auf wundersame Weise doch ins Blickfeld der gemeinsamen Chefin geraten sind.

Unser gängiges (eher folkloristisches) Verständnis von Vertrauen geht dabei davon aus, dass Leute entweder vertrauenswürdig sind oder nicht. Unser Vertrauen ist dann im „gutem Charakter“ derjenigen Personen begründet, denen wir Vertrauen schenken. Wir fragen uns immer wieder bei Begegnungen, ob uns diese Person wohl prinzipiell wohl gesonnen ist oder nicht. Der andere Mensch wird damit zum Objekt unseres Vertrauens und Vertrauen ist dann angebracht, wenn ich jemanden zutreffend als vertrauenswürdig einschätze. Wenn eine Vertrauenseinschätzung sich bewahrheitet, so schreiben wir das unserer damit bewiesenen guten Menschenkenntnis zu. Das ist allerdings eine grob vereinfachende und auch riskante Praxis.

Vertrauen wird generalisiert und basiert auf Vorurteilen

Man könnte sagen, dass Vertrauen ein positives Vorurteil zugunsten eines anderen Menschen ist. Den Vertrauensgegenstand, also den anderen Menschen, denken wir uns auf diese Art ziemlich schwarz-weiß. Und das obwohl wir von uns selbst wissen, dass die Lage nicht so eindeutig ist. Denn es ist ja meist beides richtig. Eine Person ist gleichzeitig vertrauenswürdig und auch gleich wieder nicht. Trotzdem geht es auch fast nicht anders, als dass wir Personen in Kategorien einteilen. Wir übertreiben bestimmte Beobachtungen in die eine oder die andere Richtung, damit wir mit anderen Menschen gut umgehen können. Das ist sozusagen ein Erfordernis des sozialen Umgangs miteinander. Denn irgendwie muss man ja oder nein sagen können auf eine Frage, zum Beispiel die, ob die Tochter der neuen Nachbarin wohl eine gute Babysitterin wäre. Soziale Kommunikation erfordert Eindeutigkeit. Deshalb ergeben sich aus Begegnungen eben Generalisierungen: „So eine gute Gastgeberin“, „so ein humorvoller Mann“ oder „so ein anstrengendes Kind“. Wenn wir nämlich den anderen so sehen würden, wie er in seiner ganzen Komplexität und Ambivalenz ist, so launisch, so wechselhaft, so situativ, so zustandsabhängig, so tageszeitbeeinflusst wie wir uns selbst kennen, dann wüssten wir nicht was wir tun sollten.

Wir sind sehr erfolgreich in diesen Fiktionen und werden dabei auch noch massiv unterstützt von unserem sozialen Umfeld. Es hilft uns dabei, Lagen und Personen einzuschätzen. Unsere Familie, unsere Freunde, unsere Kollegen sagen uns schon, wem zu vertrauen ist und wem nicht. Zusätzlich gibt es auch normative Hinweise, die kulturell bedingt sind, zum Beispiel, dass Personen grundsätzlich eher zu vertrauen ist, denen man nahe steht. Es ist gesellschaftlich gerahmt, einem Fremden, der sich im Dunkeln nähert, erstmal zu misstrauen. Entscheidet man fallweise anders, wird man sich rechtfertigen müssen für sein leichtfertiges Verhalten: „Bist Du verrückt geworden…?“.

Blindes Systemvertrauen

Im Gegensatz zum persönlichen Vertrauen, bei dem wir uns überlegen wie vertrauenswürdig wir einzelne Personen finden, ist uns das Systemvertrauen bzw. das institutionalisierte Vertrauen eher weniger ein Begriff. Aber mit dem haben wir es zu tun, wenn wir über Vertrauen in Organisationen sprechen. Worum geht es dabei? In China braucht es erstmal jemanden, der einen Arzt empfiehlt, bevor man dorthin geht. Es würde niemand auf die Idee kommen zu einem unbekannten Arzt zu gehen, der nicht bereits in das soziale Gefüge der eigenen Familie eingebunden ist. In Deutschland gehen wir einfach zum Arzt, suchen uns vorher die Adresse im Internet raus und machen uns gar nicht klar, welches Risiko wir dabei eingehen. Wir vertrauen völlig unverantwortlich. Allerdings werden wir dabei gestützt durch unser soziales Umfeld. Und wenn etwas schief geht, tragen wir zwar den Schaden, aber zumindest nicht den Spott, da ein Arztbesuch nach Internetrecherche gängige Praxis bei uns ist. Man vertraut eben dem Arzt als Arzt, also dem Arzt als solches. Das genau bezeichnete der Soziologe Niklas Luhmann mit Systemvertrauen, das Vertrauen in soziale Systeme. Man braucht keine Lernzeit, keine Anwärmzeit, man vertraut erstmal. Später zieht man sein Vertrauen dann evtl. wieder zurück. Jedes soziale System gibt uns vor, wem zu vertrauen ist und wem nicht. Und wir bewahren dieses Vertrauen auch unter einem normativen Gebot: „Du sollst vertrauen“.

Misstrauen ist selten attraktiv

Das gilt insbesondere für Organisationen. Wer einen Arbeitsvertrag unterschreibt, der soll in die Organisation vertrauen. Dort ist dann so aufzutreten, als ob man sehr vertrauensvoll wäre. Insgeheim überlegen wir uns sehr misstrauisch, wem zu vertrauen ist und wem nicht. Das ist so aber nicht vermittelbar und darf nicht ausgesprochen werden. Ein Geldschein ist eigentlich nur ein Blatt Papier und dennoch vertrauen wir in seinen Wert. Den können wir zumindest noch anfassen. Wie sieht es aus, wenn wir Geld von einem Konto auf ein anderes überweisen? Da vertrauen wir blind in die Transaktion. Das Ergebnis ist das Wirtschaftsleben wie wir es kennen. Es wäre jedoch sehr auffällig, seiner Bank bei jeder Überweisung offen sein Misstrauen auszusprechen. Dafür gibt es auch keine vorgesehenen Kommunikationskanäle. Der Überweisungsvorgang sieht keine Prüfungen vor. Bei Misstrauen gibt es nur die Alternative, den geschuldeten Geldbetrag unter dem Kissen aufzubewahren und zu gegebener Zeit persönlich zu übergeben.

Um zu vertrauen müssen wir allerdings jede Menge Hinweise übersehen, die Misstrauen nahelegen würden. Bei Misstrauen ist das sogar noch deutlicher. Wenn der andere etwas Freundliches tut, so wird es als hinterlistig gedeutet. In einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird dieser Mensch dann von uns so behandelt, dass er sich tatsächlich schräg verhält und unser Misstrauen nährt. Anders herum gedacht ist das einem selbst entgegengebrachte Vertrauen auch eine sich selbst bestärkende Kraft.

Vertrauen wirkt als „self fullfilling prophecy“

Uns selbst entgegengebrachtes Vertrauen erzeugt bei uns auch eher Verhaltensweisen, die dieses Vertrauen bestätigen. Das ist wohl eine Frage der Ehre. Und es ist anders herum auch schwer durchzuhalten, sich vertrauenswürdig zu zeigen obwohl es genügend Gründe gäbe sich so zu verhalten, dass das Misstrauen der anderen Partei angebrachter wäre. Für Leute, die keine Ausbildung als Geheimagent haben, wären zwei Identitäten gleichzeitig schwer zu kontrollieren. Es ist viel einfacher, so zu werden wie man von anderen gesehen wird bzw. vorgegeben hat zu sein. Das ist auch das Problem von Heiratsschwindlern (oder auch die Lösung), denn es ist kaum durchzuhalten nur so tun als sei man verliebt. Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, sich dann auch tatsächlich zu verlieben. Dies ist die selbstbestätigende Kraft von Vertrauensbeziehungen. Man könnte auch sagen: „Vertrauen erzieht“. Wir alle zeigen mehr Vertrauen als Misstrauen, schon allein weil Misstrauen so wahnsinnig anstrengend und aufwändig ist. Wer zum Beispiel der offiziellen Berichterstattung der Medien misstraut, muss sich mühsam andere Quellen suchen und weiß dann auch immer noch nicht, ob diesen denn eher zu vertrauen wäre.

Vertrauen in Organisationen ist unsichtbar oder ein Problem

Vertrauen in Organisationen fällt uns als Mitarbeiter*in einer Organisation meist gar nicht besonders auf, da es eben ein institutionalisiertes Vertrauen ist. Es gibt zum Beispiel eine Differenzierung der Stellen und Rollen in Organisationen nach Zuständigkeit. Empfehlungen, die durch diese Stellen an uns überbracht werden, werden ohne weitere Prüfung übernommen. Und es kann sich auf diese berufen werden: „Das hat der Chef so gesagt“, „das Budget hat die Finanzabteilung bewilligt“, „den Vertrag hat die Rechtsabteilung unterzeichnet“. Es gehört sogar zu den Mitgliedschaftsbedingungen in Organisationen, diesen Stellenvertretern zu glauben bzw. zu folgen. Gegenüber Organisations-Fremden ist man erstmal misstrauisch und tut damit seine Pflicht. Es gibt auch institutionalisiertes Misstrauen. Man denke an die Innenrevision, die von der Organisation selbst eingesetzt wird, um scheinbar Selbstverständliches zu hinterfragen. Vertrauen spielt natürlich auch eine große Rolle bei informellen Kontakten in der Organisation. Das wichtigste Vertrauensmerkmal in Organisationen ist wohl, dass der andere (Kollege*in, Führungskraft, Mitarbeiter*in) zu illegalen Aktionen bereit ist. Man braucht das Vertrauen in die Verschwiegenheit der Kollegen. Die Firmenleitung kann und braucht dazu nichts beizutragen. Ich bin schon sehr gespannt auf das dazu in Kürze erscheinende Buch von Stefan Kühl: „Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen“ (Verlag: campus). Situative Regelbrüche erhalten das Funktionieren der Organisation aufrecht. Ohne geht es gar nicht. Trotzdem können Regelbrüche zu Skandalen führen und nutzen der Organisation nicht immer, sie können ihr auch schaden. Deshalb muss Führung hier ansetzen und achtsam damit umgehen. Die Technik ist eine begrenzte Illegalitätstoleranz, zum Beispiel als Chef auf etwas zu verzichten (Pünktlichkeit) und dieses als Tausch für etwas anderes einzusetzen (Überstunden). Daraus kann aber selbstverständlich kein offizielles Vorgehen gemacht werden. Das Verhältnis zur Formalität muss mobil sein. Das Betriebsklima hängt dabei stark mit dem Vertrauen in die Führung zusammen. Deshalb ist ein Wechsel an der Spitze auch immer gleich ein Vertrauensthema, die Unruhe auf den Fluren groß. Und Führungskräfte tun gut daran, sich um Vertrauen zu bemühen. Denn eine Führungskraft, der misstraut wird, muss sich formaler Mittel bedienen um zu führen, sie wird aber keine Infos bekommen, die nicht unbedingt nötig wären. Ihr Wirken wird durch Misstrauen sehr begrenzt. Neue Führungskräfte müssen sich erstmal bewähren, vor allem auch unter Führungskolleg*innen. Wer als Neuling dazu kommt, wird schnell merken, dass erstmal kein Vertrauen existiert. Formal ist die Neue zwar Teammitglied, informell aber noch lange nicht. Da wird dann informell die formale Perfektion erwartet.

Vertrauen gestalten – geht das?

Gibt es dann überhaupt Gestaltungsmöglichkeiten für Vertrauen? Beim Vertrauen stößt man an die Grenzen der Anordnung. Das gilt übrigens für alles was sich als Kultur in der Organisation etabliert hat. Das einzige was man tun kann ist sich zu überlegen, was wohl passiert, wenn man formal etwas ändert (Stechuhren vs. „Vertrauens-Arbeitszeiten“) und wie sich das dann wohl auswirken wird auf das Vertrauen oder Misstrauen in der Organisation. Zunächst hilft aber vielleicht auch schon die Erkenntnis, dass Vertrauen meist bereits Mitgliedschaftsbedingung ist. Wer dazu gehören möchte muss vertrauen. Wer misstraut, der fliegt raus. Vertrauen sollte formalisiert werden, das ist auf jeden Fall ein probates Mittel. Wie wird die Arbeit in der Organisation verteilt? Wer hat welche Rolle? Dies ist gleichbedeutend mit der Frage, wem zu vertrauen ist. Auch wenn Sachverstand und formale Kompetenz sich nicht unbedingt decken. Eine Frauenbeauftragte ist dann übrigens auch gleich die Entlastung für alle anderen Stellen, denn diese haben sich dann nun künftig nicht mehr selbst mit dem Thema „Frauen“ zu befassen und fühlen sich nicht zuständig. Ob sich so die gewünschten Effekte auf die Gleichstellung von Frauen und Männern erreichen lassen, darf bezweifelt werden. Ein einmal verloren gegangenes Systemvertrauen ist nur schwer zurückzugewinnen, aber auch nicht unmöglich, wie man gut am VW Skandal beobachten kann. Zuletzt lässt sich festhalten, dass Kontrolle jedenfalls schwerlich zu Vertrauen führen kann, denn Kontrolle erzeugt Angst und Angst lähmt die Initiative. Weniger Kontrolle führt eher zu Vertrauen und Vertrauen dann zu Initiative. Mehr Initiative führt dann aber auch wieder zu Fehlern und evtl. dem nächsten Skandal. Vertrauen ist nicht generell gut. Und so ist es wohl verständlich, dass sich Organisationen in Wellenbewegungen durch Zeiten der Kontrolle und des Vertrauens bewegen.

Mein Dank gilt Prof. Dr. André Kieserling, der heute auf dem Lehrstuhl des Soziologen Niklas Luhmann „sitzt“ und der mich letzte Woche im Rahmen eines Seminars der Metaplan Academy frisch zu diesem Thema inspirierte.

 

Lesetipps:

Kieserling, A. & Rödder, S. (2019): Misstrauen ohne Folgen. Forschung & Lehre 26 (10): 898-899

Kühl, S. (2020): Brauchbare Illegalität. Vom Nutzen des Regelbruchs in Organisationen. Campus

Luhmann, N. (2016): Der neue Chef. Suhrkamp.

Luhmann, N. (2014): Vertrauen (5. Auflage). UTB.

Maring, M. (2010): Vertrauen – zwischen sozialem Kitt und der Senkung von Transaktionskosten. KIT Scientific Publishing.