Purpose, Rolle, Kreise – Wo Holokratie Sinn stiften kann

Für die Holokratie ist Purpose das zentrale Moment, was das Unternehmen zusammenhält und seinen Mitgliedern Orientierung gibt. Dabei hat nicht nur die Gesamtorganisation einen Purpose, sondern die Kreise (alte Welt: Teams) und jeweiligen Rollen haben auch ihr WHY, woran sich alle Verantwortlichkeiten und schließlich Aufgaben ausrichten. Das WHY (Purpose) liefert also eine klare Entscheidungsgrundlage für das Was (Verantwortlichkeiten und Aufgaben) der Kreise bzw. Rollen. Es gilt: wenn es Deinem Purpose dient, tue es!

Ich finde, in diesem kleinen Satz steckt viel Strahlkraft. Diese Antriebsenergie vermisst man bestimmt in manchen Chefsesseln bzw. die Sesselinhaber selbst wünschten sich vielerorts bestimmt mehr von dieser Energie, die sie morgens engagiert aus dem Bett rausspringen lässt und ihnen über den Tag eine feste Orientierung gibt, welche Entscheidung, die beste ist, und was wann getan oder unterlassen werden muss.

Das dargestellte Szenario „Chefsessel“ befindet sich noch überwiegend in der alten Organisationswelt – starre Organigramme, Hierarchie, führende Helden, KPI-basierte Wertschöpfung, die das Handeln von Führungskräften bestimmen. Selbst wenn man dies nicht alles abschaffen kann oder will, lässt sich nicht trotzdem für klassische Chefsessel-Unternehmen viel aus diesem holokratischen Purpose-Modell ableiten, ohne das disruptive Prinzip von Führung aus der Holokratie einzuführen? Ich sage JA. Aber es geht nicht von heute auf morgen und es braucht Pioniere, die zeigen, es geht – und das Einführen von ein paar neuen (Kommunikations-)Mustern!

Als erstes müssten sich die Pioniere (Führende) mit ihrem Rollenpurpose auseinandersetzen: Wofür gibt es diese Rolle? Wofür braucht die Organisation bzw. die Umwelt (Kunde) sie? Wenn dieser Kompass ausgerichtet ist, wird wirksame (rollengerechte) Führung beinahe zum Selbstläufer. Entscheidungen richten sich nach diesem Kompass aus. Das Empowernment des Teams oder des einzelnen (einer bestimmten Rolle) funktioniert nach dem gleichen Prinzip: Der jeweilige Purpose bestimmt die Verantwortlichkeiten und Aufgaben. Führungskräfte fungieren in diesem Szenario mehr als Coaches, die ihrem Team bzw. den Rolleninhabern als Sparringpartner zur Seite stehen: Was bedeutet es in Deiner Rolle Deinen Purpose zu erfüllen, welche Verantwortlichkeiten leiten sich dadurch für Dich ab; welche Entscheidungen gilt es zu treffen? Was es von der Organisation braucht, sind u.a. klare leitende Prinzipien für die Zusammenarbeit, wie z.B. Vertrauen, Augenhöhe (hierarchieübergreifend), Rollenlogik, vom Ego zum „Selbst“. Das allein wiederum reicht nicht. Diese Prinzipien werden nur wirksam, wenn es Prozesse gibt, die dieser Purpose-Logik im Rollen- bzw. Führungsverständnis den Weg bahnen, und Führung (Entscheiden, Kommunizieren, Empowern) nach diesen Prinzipien gelebt wird.

Wie das in der Praxis gelingen kann – Führen aus innerer (Rollen-)Überzeugung, das verprobe ich eben in einem Purpose-Projekt mit einem großen Dienstleistungsunternehmen. Wobei die Organisation noch einen Schritt weiter geht: Führenden soll die Arbeit am eigenen Purpose ermöglicht werden, um daraus wiederum in die Energie für den jeweiligen Rollenpurpose zu finden. Die Entwicklung dieses inneren Kompasses soll Orientierung und Antrieb geben, was es zu tun bzw. zu unterlassen gilt, um den Purpose meiner individuellen (Führungs-)Rolle zu erfüllen. Ein Schritt, der Mut für die Organisation bedeutet. Denn die Arbeit am eigenen Purpose (wenn man sie ernsthaft betreibt), birgt das Risiko, dass einzelne entdecken, dass ihr Auftrag in der Welt woanders liegt als im Unternehmen selbst. Gleichzeitig birgt dieser Mut die große Chance, dass die Führenden einen verlässlicheren eigenen Kompass (Orientierung) für ihr Wirken im Unternehmen und für ihre Kunden erhalten. Ich bin überzeugt, die echte Auseinandersetzung mit dem eigenen Purpose bzw. der Purpose meiner Rolle im jeweiligen Kontext eines Unternehmens, birgt letztlich für Führende (und damit auch für das Unternehmen) mehr Stand- und Gehsicherheit sowie Rollenwirksamkeit.